Unternehmertum

Nach 140 Jahren: als erster externer CEO im Familienunternehmen

2009 wurde Axel Kühner CEO der Greiner AG. Nach vier Generationen der Geschäftsführung in Händen der Eigentümerfamilie blicken wir auf das, was sich seither verändert hat.

Datum
Autor
Klaus Rathje, Gastautor
Lesezeit
6 Minuten
Axel Kühner
© Greiner AG.

Dass ihn die Tradition immer wieder einholen würde, ist Axel Kühner im Oktober 2020 in der Wiener Hofburg eindrucksvoll vor Augen geführt worden. Ernst & Young (EY) hat den "EY Entrepreneur of the Year" ausgelobt und Axel Kühner durfte den "Sonderpreis der Generationen" entgegennehmen.

Das Beratungsunternehmen ehrt damit Familienunternehmen, die mindestens in dritter Generation geführt werden und sich in den Punkten Wachstum, Zukunftspotenzial, Innovation, Mitarbeiterführung und gesellschaftliche Verantwortung hervortun.

Preisverleihung Entrepreneur of the Year - Greiner.
Axel Kühner im Oktober 2020 bei der Preisverleihung zum "EY Entrepreneur of the Year" © EY/Point of View

"Wenn man als CEO für die mehr als 150-jährige Firmengeschichte einen Preis bekommt und man selbst nur zwölf Jahre dabei ist, dann weiss man natürlich, dass man nur einen bescheidenen Anteil daran hat", erklärt Kühner. Vorher hatte der Manager eine vorbildliche Karriere bei Daimler in Deutschland hingelegt – mit 38 hatte er es in die zweite Führungsebene geschafft.

Jetzt ist er 50 Jahre alt und steht an der Spitze eines erfolgreichen Mischkonzerns. Er verarbeitet Kunststoffe in so verschiedenen Bereichen wie Lebensmittelverpackungen und Medizintechnik; auch Autositze gehören dazu. Aber das ist auch der einzige Bezug zu Kühners früherem Arbeitgeber.

Know-how für optimierten Corona-Test genutzt

Coronatest mit Röhrchen des Familienunternehmens Greiner.
"Ohne unsere Röhrchen würden viele Coronatests schlichtweg nicht funktionieren" © Greiner AG

Den Preis von EY hat die Greiner AG im Corona-Jahr 2020 auch deswegen bekommen, weil die Medizintechnik-Sparte Greiner Bio-One einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der Krise leistet. Die Innovation trägt den sperrigen Namen "Virus-Stabilisierungsröhrchen".

Es kommt bei den PCR-Tests zum Einsatz und löst ein Problem, das am Anfang der Corona-Krise auftrat: "Wenn Sie einen Nasen- oder Rachenabstrich haben, dann kommt der Tupfer in unser Röhrchen, die eine gepufferte Salzlösung enthält", sagt Kühner. "Damit lässt sich das Virus 72 Stunden stabilisieren und kann damit gut analysiert werden. Das war ganz am Anfang ein Riesenthema, weil viele Abstriche, die genommen wurden, nicht gut verwertbar waren, weil das Virus sich schon teilweise abgebaut hatte."

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Dieses Röhrchen wurde 2020 zum Bestseller – ein Erfolg, den nicht alle im Unternehmen so stehenlassen wollten. "Man muss fairerweise auch sagen, dass wir damit natürlich auch Geld verdienen. Das war intern eine große Diskussion", erklärt Kühner. "Es kam die Frage auf, ob wir ein Krisengewinner sind. Aber ich sage, wir leisten einen wichtigen Beitrag, denn ohne unsere Röhrchen würden viele Coronatests schlichtweg nicht funktionieren. Und insofern müssen wir uns dafür nicht schämen, dass wir 2020 die besten Resultate in unser Unternehmensgeschichte eingefahren haben. Wir reinvestieren ja auch in die Entwicklung neuer Innovationen."

Teil der Unternehmenskultur: Mitarbeiter dürfen sich ausprobieren

Dass so eine Diskussion aufgekommen ist, zeigt letztlich auch, dass sich die Mitarbeiter von Greiner stark mit ihrem Unternehmen und den Produkten identifizieren – nicht untypisch für Familienunternehmen und im Gespräch zeigt sich der CEO erfreut darüber: "Das ist eines der Dinge, auf die wir bei Greiner besonders stolz sein können. Dieses Virus-Stabilisierungsröhrchen ist ein Paradebeispiel für unsere Innovationskraft, denn es ist uns innerhalb von drei Wochen gelungen, so ein Röhrchen zu entwickeln und dann ebenso schnell eine Zulassung zu bekommen. Das liegt daran, dass sich nicht jeder in der Entwicklung über verschiedene Schleifen und Hierarchiestufen Projekte genehmigen lassen muss. Bei uns herrscht eine Kultur, wo sich Mitarbeiter ausprobieren können."

Mit Greiner INNOVENTURES entstand 2019 sogar eine eigene Firma für Innovationen, die als Tochterunternehmen nicht unmittelbar ans operative Geschäft der Greiner AG andockt.

Innovationsgeschichte: Vom Kork zum Schaumstoff

Diesen innovativen Geist verkörperte schon der Gründer Carl Albert Greiner, der 1868 sein Kolonialwaren- und Eisenwarengeschäft in Nürtingen eröffnete. Sein selbst hergestelltes Sprudelwasser verkaufte er in Flaschen mit einem Korkenverschluss. Den optimierte er so weit, dass er sich bald ganz auf dessen Herstellung konzentrierte. Schon 1899 erfolgte die Expansion nach Kremsmünster in Österreich, wo sich heute die Zentrale der Greiner AG befindet.

Hauptsitz eines global ausgerichteten Familienunternehmens: Greiner in Kremsmünster.
Heutiger Hauptsitz des Familienunternehmens in Kremsmünster. © Greiner AG


Familienunternehmen Greiner präsentiert seine Produkte auf einer Messe.
Alles in Kork: Historischer Messeauftritt rund um die Innovation Korkenverschluss. © Greiner AG
Früherer Standort der Greiner AG im deutschen Nürtingen.
Früherer Hauptsitz: Erster Standort der Greiner AG im deutschen Nürtingen. © Greiner AG
Greiner Visitenkarte
Einfallsreich: Visitenkarte in Kork. © Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg

Ein wichtiger Wendepunkt in der Firmengeschichte und Basis der heute erfolgreichen Strategie war der Start der Schaumstoffproduktion mit einer Lizenz von Bayer. Das Familienunternehmen entwickelte sich damit zum Kunststoff- und Schaumstoffspezialisten. Heute besteht die Greiner AG aus den Sparten Packaging, Bio-One, Foam (Schaumstoffe für Komfort, Sport und technische Anwendungen) sowie Extrusion (Werkzeuge, Maschinen und Anlagen für die Profilextrusion). Insgesamt beschäftigt das internationale Unternehmen über 11.000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2019 knapp 1,7 Milliarden Euro Umsatz.

Inhaberfamilie und externer CEO: Es geht um die Art und Weise

Gründer eines globalen Familienunternehmens: Carl Albert Greiner.
Gründer Carl Albert Greiner © Greiner AG

"Mach' aus uns ein modernes Unternehmen, aber erhalte uns unseren Wertekern, den wir als Familienunternehmen haben." Das war das Credo, das Kühner als Nachfolger von der Familie Greiner mit auf den Weg bekam, als er 2009 die Konzernleitung übernommen hat. Und natürlich sorgte es zunächst für Irritationen, als ein externer Manager aus Deutschland ins Unternehmen kam und die Führung übernehmen sollte - anstelle der fünften Generation der Eigentümerfamilie.

"Die Skepsis der Mitarbeiter war schon da, anfangs", gibt Kühner zu und erklärt, warum diese sich schnell als unberechtigt herausgestellt hat. Klar, die Familie Greiner hatte sich zurückgezogen und ein Externer sollte nun die Geschäfte führen, "aber bei einem Familienunternehmen geht es ja weniger um den Bezug zur jeweiligen Familie, also zur Greiner-Familie in diesem Fall. Sondern es geht um die Art und Weise wie das Unternehmen mit seinen Mitarbeitern umgeht, es geht um Berechenbarkeit und Langfristigkeit, es geht um einen sozial-fairen Umgang und Nachhaltigkeit. Das ist es, was man erwartet, wenn man bei einem Familienunternehmen arbeitet."

Die Befürchtung der Mitarbeiter, jetzt nur noch eine Nummer zu sein, hatte sich schnell erledigt: "Als die Mitarbeiter verstanden hatten, dass ich genauso hinter diesen Dingen stehe, die auch die Greiner-Familie verkörpert, und ich das auch als Person widerspiegele, war die Skepsis verflogen."

Werte der Unternehmerfamilie bleiben gewahrt

Um den Draht zur Familie zu halten, trifft sich CEO Kühner etwa einmal im Monat mit dem „Familiengesellschafterrat“. Das Gremium bündelt die Meinungen der Eigentümer und kommuniziert sie dem Aufsichtsrat und auch dem Vorstand.

Zwei Personen aus dem Familiengesellschafterrat sitzen zudem im Aufsichtsrat der Greiner AG. „Die Familie hat sich operativ komplett zurückgezogen, hat aber strategische Leitplanken entwickelt, die ganz weitgefasste Guidelines für uns als Vorstand sind“, so Kühner zur Organisation der Abstimmung zwischen Eigentümer und Unternehmen. „Die Familie wünscht sich beispielsweise eine gute Eigenkapitalposition, ausserdem soll das Unternehmen unabhängig bleiben, und Branchen wie Waffenindustrie sind tabu.“

Die Werte stehen also letztlich über dem Profit. So engagiert sich die Greiner AG auch für Nachhaltigkeit, etwa über die Online-Plattform „Verpackung mit Zukunft“. Auf der Produktseite vereinfacht sie stetig die Lebensmittelverpackungen. Diese lassen sich so leichter recyceln.

Am Geschäft hängt die Familie tatsächlich auch über die blosse Gewinnmaximierung hinaus, bestätigt Kühner: „Die Eigentümerfamilie erfüllt es mit Stolz, dass überall in den Supermarktregalen ihre Joghurtbecher stehen, auch wenn nicht für jeden sichtbar Greiner draufsteht. Bei der Blutentnahme hat Greiner in Europa einen Marktanteil von über 50 Prozent. Also mindestens jede zweite Blutentnahme findet mit unseren Röhrchen statt. Wieviel Geld damit verdient wird, hat für die Eigentümer eine geringere Priorität. Das macht es auch so toll, in so einem Familienunternehmen arbeiten zu dürfen. Ich habe das bis heute noch nicht einen Tag bereut.“

Header Visual © Greiner AG.

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