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Market View & Insights
Die Teuerung ist unvermeidlich – aber wie hoch darf sie sein?
In den USA und in Europa hat die Teuerung in letzter Zeit angezogen und Befürchtungen ausgelöst, dass wir am Anfang einer Periode anhaltend hoher Inflation stehen. Die aggressiven Zinserhöhungen der Notenbanken haben zwar dafür gesorgt, dass die Teuerung im Vergleich zu letztem Jahr gesunken ist, was aber nicht automatisch bedeutet, dass wir in Bälde wieder die tiefen Teuerungsraten der letzten Jahrzehnte sehen werden.
Niemand freut sich über Inflation, trotzdem gehört sie zum gesamtwirtschaftlichen Zyklus wie der Tod zum Leben. Was aber sind die Ursachen der Teuerung? Und welche Rolle spielt sie in der Wirtschaft?
Einfach ausgedrückt geht es bei der Inflation oder Teuerung um einen Preisanstieg bei Gütern und Dienstleistungen, was bedeutet, dass die Konsumentinnen und Konsumenten für dieselben Güter oder Dienstleistungen mehr Geld aufwenden müssen. Es kommt zu einer Inflation, wenn die Geldmenge so gross wird, dass ein "Überschuss" an Barmitteln besteht. Dieser Überschuss führt zu einem Nachfrageüberhang nach Gütern und Dienstleistungen. Wenn viel Geld bzw. Liquidität zur Verfügung steht, können Individuen und Unternehmen ihre Preise immer weiter und auch in grossem Ausmass anheben, ohne auf Absatzprobleme zu stossen. Die Preise steigen immer weiter, bis die Konsumentinnen und Konsumenten sich diese nicht länger leisten wollen (oder können). An diesem Punkt findet der Geldmengenüberschuss sein Ende.
Die sogenannte Schrumpflation oder Shrinkflation stellt eine geschickt getarnte Form der Teuerung dar: Sie bezeichnet das Vorgehen von Herstellern, die die Grösse oder Menge eines Produkts stillschweigend reduzieren, ohne den Preis entsprechend zu senken, und somit im Verborgenen eine effektive Preiserhöhung vornehmen. Eine weitere Variante ist die als Skimpflation bezeichnete Mogelpackungspraxis: Güter oder Dienstleistungen werden derart verändert, dass die Kundschaft denselben Preis bezahlt, aber geringere Qualität für ihr Geld erhält.
Bei einer Deflation handelt es sich um einen Preisrückgang bei Gütern und Dienstleistungen, d. h. das Gegenteil von Inflation bzw. Teuerung. Dieser Begriff sollte nicht mit dem Begriff Desinflation verwechselt werden. Als Desinflation bezeichnet man eine Verlangsamung der Teuerung, d. h. die Preise für Güter und Dienstleistungen steigen nach wie vor, wenn auch langsamer.
Als Stagflation wird das Zusammentreffen von hohen Arbeitslosenquoten (Stagnation) und steigenden Preisen (Inflation) bezeichnet. Der Begriff stammt aus den 1970er-Jahren, als sowohl Arbeitslosigkeit als auch Teuerung grassierten.
Verwerfungen oder Schocks auf der Angebots- bzw. Nachfrageseite können ebenfalls Teuerungen auslösen. Zu Beginn der Covid-19-Pandemie traten unerwartete Schocks auf der Angebotsseite auf, da die Regierungen Schliessungen von Unternehmen und Fabriken durchsetzten und so die Produktion drosselten. Der Ausbruch des Ukrainekriegs im Jahr 2022 wirkte sich als Schock auf die Energieversorgung und die Getreideexporte aus, infolgedessen stiegen die Preise in astronomische Höhen. Auch auf der Nachfrageseite waren in jüngster Zeit Schocks zu verzeichnen, da infolge der Pandemie Stellen abgebaut und wegen der Lockdowns Reisen und Restaurantbesuche abgesagt werden mussten sowie die privaten Ausgaben generell eingeschränkt wurden.
Seit es Geld und Handel gibt, gibt es auch Inflation. Unser Verständnis und unsere Fähigkeit zum Umgang mit der Teuerung haben sich allerdings verändert. In der Antike wurde das Römische Reich im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung von einer massiven Teuerung erfasst. Schätzungen zufolge lag sie bei rund 15'000 Prozent (annualisiert). Die römischen Herrscher nutzten Gold- und Silberminen, plünderten eroberte Gebiete und besteuerten besiegte Völker, um ihre Staatskasse zu füllen.
Die Römer und ihre Zeitgenossen wussten nicht, was sich vor ihren Augen abspielte
Je mehr sich das Imperium ausdehnte, desto grösser wurden allerdings auch seine Ausgaben – bis Rom nicht länger genügend Gold und Silber importieren konnte, um seine Bedürfnisse zu decken. Da die Möglichkeit, über den Markt Fremdmittel aufzunehmen, noch nicht existierte, gab es nur zwei Optionen: Steuererhöhungen oder eine Abwertung der Währung, indem der Edelmetallgehalt der Münzen gesenkt wurde. Da nach wie vor Gold und Silber in das römische Reich flossen, führte die Abwertung zu einer Ausweitung der Geldmenge. Infolgedessen kam es zu einer massiven Inflation.
"Damals war man sich noch nicht bewusst, wie Preisdynamik und Geldmenge zusammenhängen...und daher wussten die Römer und ihre Zeitgenossen nicht, was sich vor ihren Augen abspielte", kommentiert Pierangelo De Pace, Professor der Wirtschaftswissenschaft am Pomona College in Kalifornien, den Vorgang. Da sich Kaiser Diokletian nicht im Klaren war, dass die Teuerung auf die Ausweitung der Geldmenge zurückging, suchte er nach Schuldigen. Die weit verbreitete Habgier war seiner Meinung nach der Grund, sodass er anordnete, dass Profiteure und Spekulanten geköpft werden sollten. Zudem führte er Preiskontrollen ein. Diese extremen Massnahmen sorgten letztlich dafür, dass die Teuerung zurückging, da sie die Güterproduktion unterbrachen – allerdings führten sie auch zu einer Rezession.
Heutzutage verfügen die Wirtschaftswissenschaftler und Notenbanken zum Glück über präzisere, weniger tödliche Mittel, um die Inflation in Schach zu halten. Zwei bei den Notenbanken sehr beliebte Instrumente sind die Kontrolle der Geldmenge durch An- und Verkauf von Anleihen und Leitzinserhöhungen bzw. -senkungen, um die Kreditaufnahmen, das Wirtschaftswachstum und die Arbeitslosenquote zu beeinflussen. Das Zinsniveau und die Geldmenge korrelieren: Bei steigenden Zinsen schrumpft die Geldmenge und umgekehrt.
Während der Pandemie wendeten die Regierungen Billionenbeträge in Form von Hilfsmassnahmen für Privatpersonen und Unternehmen auf und die Notenbanken versuchten, mit Zinssenkungen die Aufnahme von Krediten anzukurbeln. All diese zusätzlichen Mittel im Wirtschaftskreislauf zuzüglich der Schocks auf der Angebots- und der Nachfrageseite führten dazu, dass die Länder Inflationsraten erlebten, wie sie seit Jahrzehnten nicht mehr üblich gewesen waren. Die Notenbanken reagierten, indem sie die Leitzinsen anhoben, um die Kreditaufnahmen und den Konsum einzudämmen.
Im Vergleich zu den 1970er- und 1980er-Jahren sind aktuell sowohl die Teuerung als auch die Zinsniveaus relativ bescheiden. In den 1970er-Jahren belief sich die Inflation in den USA auf nahezu 15 Prozent, in Grossbritannien waren es 25 Prozent, und es machte den Anschein, als ob der Anstieg nie ein Ende nehmen würde. Um der Teuerung ein Ende zu setzen und die Geldmenge in Grenzen zu halten, erhöhte der damalige Vorsitzende der Fed, Paul Volcker, nach und nach die US-Leitzinsen: die Federal Funds Rate auf 20 Prozent, die Prime Rate auf über 21 Prozent. Diese Massnahmen waren schmerzhaft und führten zu einer Stagflation, d. h. einer hässlichen Kombination von hoher Inflation, rückläufigem Wirtschaftswachstum und einer ansteigenden oder hohen Arbeitslosenquote.
So, als ob ein Pakt zwischen Wirtschaft und Gesellschaft gebrochen worden wäre
Derzeit werden zwar zahlreiche Vergleiche mit der grossen Inflation der 1970er-Jahre gezogen, die Gründe liegen heute aber anderenorts und die Inflationsrate sieht ebenfalls anders aus. Wirtschaftswissenschaftler und Marktbeobachter hegen Hoffnungen, dass die höheren Zinsen eine sanfte Landung nach sich ziehen und der Wirtschaft eine lange und schwierige Rezession erspart bleibt.
"Um die aggregierte Nachfrage auf demselben Niveau zu halten wie das potenzielle Angebot und eine Vollbeschäftigung in der Wirtschaft ohne Inflation zu gewährleisten, versuchen sich die Notenbanken in einem heiklen Balanceakt", erklärt Bradford DeLong, Professor der Wirtschaftswissenschaften an der University of California in Berkeley und ehemaliger Stellvertreter des damaligen US-Finanzministers während der Präsidentschaft von Bill Clinton.
Im Lauf der Geschichte ist die Teuerung mehrfach gestiegen und gesunken – nach wie vor wollen wir aber Preisanstiege nur sehr ungern akzeptieren. Sowohl in der Gesellschaft als auch in den Regierungen kann die Inflation massive Verwerfungen auslösen. "Teuerung führt zu Unzufriedenheit und Verärgerung auf breiter Front. Die Bevölkerung glaubt, dass die Wirtschaft auf eine bestimmte Weise funktioniert und dass man jederzeit mit seinem gewohnten Einkommen seine gewohnten Einkäufe tätigen kann. Und dann geht man einkaufen und muss realisieren, dass das Geld nicht ausreicht...So, als ob ein Pakt zwischen Wirtschaft und Gesellschaft gebrochen worden wäre", wie Professor DeLong anmerkt.
Da die Inflation sich auf jeden Einzelnen störend auswirkt, bemühen sich die Notenbanken, sie auf einem möglichst niedrigen Niveau zu halten. Idealerweise liegt sie nahe bei null. Seit den 1990er-Jahren haben die Notenbanken in Volkswirtschaften des Westens sich eine Teuerung von 2 Prozent zum Ziel gesetzt. Zuerst kam dieser Gedanke in Neuseeland auf. Das Land erlebte in den 1980er-Jahren eine ausgeprägte Inflation und suchte nach einem Weg, die Inflationserwartungen zu senken. Diese Erwartungen spielen bei der Ermittlung der effektiven Inflation eine wesentliche Rolle, da sie mit in die Verträge sowie Preis- und Lohnerhöhungen einfliessen. Das zunächst in Neuseeland eingeführte 2 Prozent-Ziel wurde rasch von anderen westlichen Märkten übernommen.
Die Wirtschaftswissenschaftler argumentierten, dass eine Vorgabe von 2 Prozent nahe genug bei null liegt, sodass Preiserhöhungen nicht belastend wirken und den Notenbanken dennoch etwas Spielraum für Leitzinssenkungen bleibt, falls die Wirtschaft stimuliert werden muss. In Japan, einem Land, das sich seit 30 Jahren gegen die Deflation, das heisst den Rückgang des allgemeinen Preisniveaus, zur Wehr setzt, liegt das Zinsniveau effektiv unter null. Daher verbleibt auch kein Spielraum, um die Nachfrage durch weitere Zinssenkungen anzukurbeln.
Eine gewisse (geringe) Inflation ist nicht zwingend ein Nachteil. Sie kann sich günstig auf die Nachfrage auswirken. Ein Beispiel: Wenn Sie ein neues Auto kaufen wollen und davon ausgehen, dass es nächstes Jahr teurer sein wird, kaufen Sie es so bald wie möglich. Wenn die Preise jedoch sinken, schieben Sie geplante Käufe öfters auf, denn je länger Sie sich gedulden, desto tiefer ist Ihr Kaufpreis. Diese Erwartungen – und Kaufentscheidungen – wirken sich letztendlich auf die gesamte Wirtschaft aus.
"Es ist sehr schwierig, ein solches Gleichgewicht zu erreichen; die zugrunde liegende Dynamik wird von den Geldpolitikern jedoch grundsätzlich jedes Mal berücksichtigt, wenn eine Entscheidung zwischen Inflation und Deflation ansteht. Die vorherrschende Meinung geht dahin, dass wir lieber eine bescheidene Teuerung von 2 Prozent oder 3 Prozent anstreben als eine ausgewachsene Inflation", erklärt Professor De Pace.
Da die Preise für Güter und Dienstleistungen aufgrund der Inflation Jahr um Jahr steigen, hat eine Million Dollar auf Ihrem Konto heute nicht länger dieselbe Kaufkraft wie vor 20 Jahren. Wie lässt sich der Effekt der Inflation berechnen? Mithilfe einer Gleichung.
Zunächst wird der Stand des Konsumentenpreisindex festgestellt. Die statistischen Ämter ermitteln die Teuerung, indem sie einen Warenkorb aus den von den privaten Haushalten genutzten Gütern und Dienstleistungen zusammenstellen. Er wird als Konsumentenpreisindex bezeichnet.
In der Eurozone veröffentlicht die Europäische Zentralbank den Harmonisierten Verbraucherpreisindex. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nutzen dieselbe Methodologie, um die Vergleichbarkeit sicherzustellen. In den USA veröffentlicht das Bureau of Labor Statistics den Consumer Price Index für alle städtischen Konsumenten (CPI-U).Sehen Sie den CPI-U-Stand für den Anfang und das Ende dieses Zeitraums nach:
Januar 2003: CPI-U = 184
Januar 2023: CPI-U = 299,170
Betrag x CPI-U am Anfang ÷ CPI-U am Ende = Dollarwert heute
USD 1 Million x 184 ÷ 299,170 = USD 615’035
Für eine Million US-Dollar von Januar 2003 würden Sie heute somit Güter und Dienstleistungen im Wert von 615’035 US-Dollar erhalten.
Mittels einer kleinen Verschiebung erhalten Sie den damaligen Wert Ihrer heutigen US-Dollars:
Betrag x CPI-U am Ende ÷ CPI-U am Anfang = damaliger Dollarwert
USD 1 Million x 299,170 ÷ 184 = USD 1’625’924
Wieso sind diese Berechnungen wichtig? Bei jedem langfristigen Finanzplan – denken Sie etwa an Ihr Monatseinkommen im Rentenalter – ist die Inflation unbedingt zu berücksichtigen.