LGT Private Banking House View

Juni 2023

Der politische Streit um die Erhöhung der Schuldenobergrenze in den USA stand in den letzten Wochen an den Finanzmärkten im Zentrum des Geschehens. Mit der nun erzielten Einigung die Schuldenobergrenze für zwei Jahre anzuheben, die noch vom Parlament abgesegnet werden muss, ist das Risiko eines Zahlungsausfalls der weltgrössten Volkswirtschaft erstmal vom Tisch. Wie bei der Krise der US-Regionalbanken handelt es sich dabei um ein klassisches Extremrisiko ("Tail Risk"), auf das Anleger weder ihre mittelfristige Strategie noch ihre kurzfristige Positionierung ausrichten sollten. Wir beobachten die Situation genau, konzentrieren uns aber konsequent auf Faktoren, die uns eine Prognose erlauben.

Datum
Autor
Thomas Wille
Lesezeit
7 Minuten

US Capitol Hill
© Shutterstock

Dazu gehören natürlich die Wachstums- und Inflationserwartungen sowohl in den Industrieländern als auch in den Schwellenländern. Das Wachstum bleibt zwar schwach, aber die Inflation dürfte ihren Höhepunkt überschritten haben, so dass wir in den kommenden Monaten mit einer Stabilisierung und einer allmählichen Verbesserung des Wachstums- und Inflationsumfelds rechnen. Positiv zu vermerken ist zudem, dass sich der erwartete monetäre Zinserhöhungszyklus wohl in der Nachspielzeit befindet, das heisst, das Überraschungspotenzial für noch höhere Leitzinsen ist äusserst begrenzt. Dies gilt sowohl für die Erwartungen an die US-Notenbank (Fed) als auch an die Europäische Zentralbank (EZB).

In einem Umfeld, in dem sich die makroökonomischen Indikatoren stabilisieren und das Nervenkostüm der Anleger durch zwei «Tail Risks» strapaziert wird, rückt die Selektion immer stärker in den Vordergrund - das gilt nicht nur innerhalb der Aktienquote, sondern auch bei Obligationen. Für Anleger ist es derzeit entscheidend zu wissen, was sie im Portfolio halten. Das zeigt ein Blick auf die ersten fünf Monate dieses Jahres, in denen der S&P 500 Index deutlich schlechter abgeschnitten hat als die Nasdaq Indizes und der DAX-Index.

Weltweit haben die Unternehmen die Analystenerwartungen für das erste Quartal 2023 auf beiden Seiten des Atlantiks übertroffen. Das starke nominale Wirtschaftswachstum hat die Umsätze beflügelt. Die Nagelprobe für das zweite Quartal steht jedoch noch aus. Spätestens im Spätsommer werden die Kapitalmarktteilnehmer ihren Fokus aber bereits auf das Jahr 2024 richten. Die heisse Phase für mögliche unternehmensspezifische Enttäuschungen dürfte in den nächsten zwei bis drei Monaten zu erwarten sein. Dann werden die Aktienmärkte als klassische Frühindikatoren bereits das kommende Jahr ins Visier nehmen.

Das makroökonomische Umfeld ist weiterhin geprägt von der unterschiedlichen Wirtschaftsentwicklung in den einzelnen Regionen. Auf der einen Seite stehen die Industrienationen, wo die USA in der zweiten Jahreshälfte auf ein Nullwachstum oder eine leichte Rezession zusteuern dürften, sowie die Eurozone, wo sich in den vergangenen Wochen Silberstreifen am Horizont gezeigt haben. Auf der anderen Seite stehen die Schwellenländer, angeführt von China, die ein Garant für die Vermeidung einer globalen Rezession sein dürften. Entscheidend bleibt aus unserer Sicht, wie schnell die Kerninflation in den Industrieländern auf ein Niveau von unter 4% sinkt, dass es den Zentralbanken erlaubt, ihre angeschlagene Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen. 

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Anlagestrategie

Das aktuelle Makro-Umfeld zeigt zwar auf relativer Ebene Verbesserungen, auf absoluter Ebene kann jedoch noch kein grünes Licht gegeben werden. Nachdem wir die Risiken in den vergangenen Monaten teilweise erhöht haben - Erhöhung Schwellenländer und europäische Aktien - liegt der Fokus primär auf der Selektion. Dies ist aus unserer Sicht der wichtigste Erfolgsfaktor für die kommenden Monate. Wir halten an unserer Präferenz für alternative Anlagen und Anleihen gegenüber Aktien fest.

Aktienstrategie

Die vergangene Berichtssaison sorgte für positive Überraschungen, hat aber nicht alle offenen Fragen beantwortet. Deshalb stehen Unternehmen mit attraktiven Wachstumsaussichten und stabilen Margen im Vordergrund. Wir halten an unserer «Barbell»-Strategie fest. Einerseits bevorzugen wir den "Rest der Welt" (Aufwertung Schwellenländer und Europa in den vergangenen Monaten) gegenüber den USA. Zum anderen fokussieren wir uns auf Themen wie "Künstliche Intelligenz" (KI) oder "Reshoring", die mittelfristig ein sehr attraktives Potenzial aufweisen. Auf Sektorebene bevorzugen wir den Gesundheitssektor aufgrund seiner defensiven Eigenschaften sowie den Energiesektor aus Bewertungsgründen. Auch Basiskonsumgüter zählen neu zu unseren präferierten Sektoren. 

Anleihenstrategie

Die US-Notenbank hat den Zinserhöhungszyklus fast abgeschlossen und auch die EZB dürfte sich im letzten Drittel befinden. Daher gehen wir tendenziell davon aus, dass sich die US-Zinsstrukturkurve versteilern wird ("Steepening"). Kurzfristige Anleihen bleiben eine attraktive Anlagemöglichkeit. Innerhalb des Kreditsegments bevorzugen wir aufgrund des nach wie vor schwachen wirtschaftlichen Umfelds in den Industrieländern eindeutig Investment-Grade-Anleihen gegenüber Hochzinsanleihen. Bei Anleihen aus Schwellenländern bleiben wir neutral positioniert.

Währungsstrategie

Die Entdollarisierung und Ablösung des US-Dollars durch andere Währungen entfachen immer wieder Diskussionen an den Finanzmärkten. Doch eine genaue Betrachtung offenbart eine andere Realität. So ist die Unvollständigkeit der europäischen Währungsunion eine grosse Hürde für den Euro, sich als echte Alternative zum US-Dollar zu etablieren, während die Beschränkungen der chinesischen Währungs- und Kapitalmärkte die Verwendung des chinesischen Yuan begrenzen. Datenanalysen und die anhaltende Dominanz des US-Dollars im Welthandel und bei Finanztransaktionen deuten darauf hin, dass die Entdollarisierung in erster Linie eine gefühlte und nicht eine unmittelbar bevorstehende Realität ist.

Alternative Anlagen

Gold bleibt mittelfristig ein wichtiger Baustein in einem Multi-Asset-Portfolio. Nach dem Kursanstieg im laufenden Jahr raten wir, Schwächephasen für einen Aufbau der Position zu nutzen. Innerhalb der alternativen Anlagen halten wir an unserer neutralen Positionierung in Rohstoffen und versicherungsbasierten Anlagen fest.
 

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