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Market View & Insights
Was ist Stewardship, und warum wird es beim Anlegen immer beliebter? Emmet McNamee, Head of Stewardship bei der UN Principles of Responsible Investment, gibt Antworten.
Institutionelle Investoren üben ihren Einfluss in Nachhaltigkeitsfragen schon seit einigen Jahren aus. Immer mehr vermögende Privatanlegerinnen und -anleger können etwas Ähnliches bewirken. Ein Gespräch mit Head of Stewardship bei der UN Principles of Responsible Investment Emmet McNamee.
Immer mehr Investorinnen und Investoren sind sich bewusst, dass sie das Verhalten der Unternehmen, in die sie anlegen, in Umwelt- und Gesellschaftsfragen aktiv steuern können. Der Begriff Stewardship bezeichnet die Summe ihrer Möglichkeiten, Einfluss auszuüben. Dies geschieht zum einen mithilfe der von ihnen gehaltenen Anlagen. Zum anderen können sie den Hebel auch generell als Akteurinnen und Akteure im Finanzsystem ansetzen. Ziel ist es, die Anlagevorstellungen ihrer Kundschaft zu erreichen und zugleich Nachhaltigkeitsrisiken zu steuern und zu mindern oder Investment-Chancen im Bereich ESG (Environment, Social und Governance) zu nutzen.
Mit Stewardship beteiligen sich Kundinnen und Kunden am Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, was sich auf die gesamte Wirtschaft auswirken dürfte und in Zukunft allenfalls zu höheren Renditen führt. Stewardship fördert einen positiven Wandel und unterstützt Kundinnen und Kunden bei Anlagen in Sektoren, die derzeit möglicherweise geringere ESG-Werte aufweisen - dies ist bei gewissen Energieunternehmen der Fall -, aber den Wandel wesentlich beeinflussen. Ein überlegtes und konstruktives Stewardship kann einen Beitrag an die Nachhaltigkeitsbestrebungen dieser Unternehmen leisten und sie dazu bewegen, ihren Teil zur Lösung des Klimawandelproblems beizusteuern.
Ein weiterer Ansatz besteht darin, an der Generalversammlung von börsennotierten Unternehmen Stimmrechte auszuüben. Die Stimmvorlagen umfassen sämtliche Themen, von der Genehmigung der Jahresrechnung bis zu Verwaltungsratswahlen. Und da immer mehr Anlegerinnen und Anleger realisieren, dass die Besetzung des Verwaltungsrats im Umgang des Unternehmens mit Nachhaltigkeitsrisiken eine wesentliche Rolle spielt, richten sie ihr Augenmerk auf die ESG-Kompetenzen und -Fähigkeiten der Verwaltungsratsmitglieder.
Und schliesslich steht es Anlegerinnen und Anlegern auch frei, Aktionärsanträge einzubringen, um Verbesserungen auf Verwaltungsratsebene durchzusetzen. Dies ist oft eine Art Notmassnahme, um Anliegen durchzubringen. Wir gehen aber davon aus, dass die steigende Dringlichkeit von ESG-Fragen solchen Schritten Vorschub leisten wird.
Alle genannten Ansätze beziehen sich auf börsennotierte Aktien. Private-Equity-Investoren steht ebenfalls eine Reihe von Strategien zur Verfügung, zudem sind ihre Beteiligungen grösser und somit auch ihr Einfluss. Sie stehen in engeren Beziehungen zu den Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, und sind häufig auch im Verwaltungsrat vertreten. Und dann ist da noch die öffentliche Einflussnahme institutioneller Anleger, unter anderem in Form von Diskussionen mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern, um sicherzustellen, dass die Märkte Stewardship fördern.
Gemeinschaftliches Engagement liegt dann vor, wenn gleichgesinnte Anlegerinnen und Anleger zusammenfinden, um Unternehmen zu Massnahmen in Bezug auf ein bestimmtes Problem zu verpflichten. Sie profitieren vom Gesamtvolumen ihrer Anlagen, um Anträge durchzusetzen, und sind in den Augen der betreffenden Unternehmen auch glaubwürdiger. Nehmen wir Climate Action 100+ als Beispiel. Diese Initiative fokussiert sich auf die 166 grössten börsennotierten Unternehmen und arbeitet mit ihnen zusammen, um ihre Leistungen im Umweltschutz zu verbessern. Am Anfang hatte sich kein einziges Unternehmen zu einem Netto-Null-Ziel verpflichtet. Inzwischen sind es 75 Prozent, und 91 Prozent haben sich den Empfehlungen der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) angeschlossen. Noch sind nicht alle Ziele erreicht, aber die bisherigen Ergebnisse wären ohne das Zutun von Aktionärinnen und Aktionären im Rahmen von Climate Action 100+ nicht zustande gekommen.
Eine Reihe von wissenschaftlichen Metastudien hat gezeigt, dass richtig ausgeübtes Stewardship zur Wertschöpfung für Anlegerinnen und Anleger beiträgt, da sie auf diesem Weg wesentlich eingehendere Informationen über ihre Anlagen erhalten. Regelmässige Sitzungen mit den Unternehmen, in die sie investieren, zeigen Anlegerinnen und Anlegern auf, wie die Geschäftsleitung arbeitet, wo ihre Stärken und Schwächen liegen und welches Potenzial für den Umgang mit Risiken und Chancen im Frühstadium besteht. Zudem sind diese Sitzungen eine Chance, sich ein Bild zu machen von der Kultur und Robustheit der Geschäftsleitung.
Im November 2022 erzielten institutionelle Investoren einen wichtigen Erfolg: Der italienische Energieversorger Enel war das erste börsennotierte Unternehmen, das seine Netto-Null-Berichterstattung an den von Climate Action 100+ - der von Investoren geführten Initiative zum Klimawandel - aufgestellten Benchmarks ausrichtete. Das Engagement und die Berichterstattung von Enel folgten auf vier Jahre gemeinsamen Engagements einer Gruppe von Aktionären.
LGT ist Mitglied von Climate Action 100+ und Unterzeichner der Principles for Responsible Investment (PRI), der weltweit führenden Initiative für verantwortungsbewusstes Investment. Unserer Überzeugung nach gehört Stewardship zur Grundphilosophie verantwortungsvoller Unternehmen und ist Teil eines langfristigen, ganzheitlichen und strategischen Ansatzes, um in Bezug auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Unternehmensführung (ESG) positive Veränderungen voranzutreiben. Der Ausschluss bestimmter Anlagen ist nicht die einzige Möglichkeit; unser verantwortungsbewusster Anlageansatz verbindet Engagement, eine gezielte Stimmrechtsausübung und öffentliche Einflussnahme zur Verbesserung der ESG-Performance und Minderung von Risiken, ohne die Aktionärsrenditen zu schmälern.
Bessere Information sorgt auch im Börsenhandel für mehr Klarheit und kommt so Anlegerinnen und Anleger zugute. Ein ähnlicher Transfer von unrealisierten Werten zur Anlegergemeinde findet auch bei einer Verbesserung der ESG-Performance von Unternehmen durch individuelle oder gemeinschaftliche Engagements statt, wobei Letzteres erwartungsgemäss rascher Wirkung entfalten kann. Eine dritte Wertschöpfungsmöglichkeit besteht in der Minderung des systemischen Risikos.
Hierzu sind grosse gemeinschaftliche Engagements erforderlich, etwa die bereits beschriebenen Initiativen Climate Action 100+ oder Advance, eine neue Menschenrechtsinitiative und andere wie die Platform (for) Living Wage Financials. Es reicht nicht aus, Unternehmen auf Einzelbasis aufzufordern, ihre Praxis zu ändern, um systemische Risiken wirksam anzugehen. Engagements mit ganzen Sektoren sind gefragt, um ihre Performance branchenweit zu verbessern. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger dazu zu bewegen, Mindestnormen für alle Unternehmen einzuführen.
Bis jetzt haben die meisten nachhaltigkeitsbewussten Kundinnen und Kunden nicht passende Anlagen herausgefiltert. Dies ist die Wurzel des Stewardship: Die Quäker schlossen Anlagen mit Verbindung zur Sklaverei aus. Aus dieser Haltung entwickelten sich im Lauf der Zeit die ethischen oder wertebasierten Ausschlüsse. Allerdings hat man heute nicht länger einfach die Wahl zwischen dem Verkauf solcher Anlagen und dem Halten, wenn auch mit schlechtem Gewissen. Heute können Sie eine Anlage halten und mit einer robusten Strategie für Stewardship daran arbeiten, einen echten Wandel herbeizuführen. Dies ist eine Möglichkeit, einen gerechten und fairen Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft zu unterstützen und zugleich in die führenden Unternehmen von morgen zu investieren.
Nein, nach wie vor können Sie Anlagen ausschliessen, die Ihren ethischen Werten zuwiderlaufen. Stewardship ist dagegen eine Aufforderung, nicht nur den Ist-Zustand der Anlage zu analysieren, sondern auch ihr Potenzial, sobald der Einfluss der Anlegerinnen und Anleger ihre ESG-Performance verändert.
Mit unserem Stewardship-Bericht möchten wir einen Überblick über die verschiedenen Engagements und Abstimmungsaktivitäten der LGT Gruppe geben und diese mit verschiedenen Beispielen illustrieren. So wollen wir unsere Bemühungen und Erfolge transparent machen und einen Einblick geben, wie wir Stewardship betreiben.
Weitere InformationenDies bedeutet, dass Stewardship eine Erweiterung des Anlageuniversums bewirken kann – wenn ein glaubwürdiger Pfad in Richtung Wandel vorliegt. Wenn Sie alle Erdöl- und Erdgasfirmen ausschliessen, können keine Verhaltensänderungen aufgrund von Initiativen verantwortungsbewusster Anlegerinnen und Anleger erfolgen. Wenn ein Unternehmen jedoch z. B. zehn Prozent seiner Erträge mit Kohle erwirtschaftet und Ihr Schwellenwert für Ausschlüsse bei fünf oder acht Prozent liegt, können Sie eine Wirkung erzielen. Sie können weiterhin in performancestarke Energieunternehmen investieren, dabei aber die am wenigsten schädlichen Energieträger wählen (Erdgas anstatt Kohle) und innerhalb der Unternehmen zum Wandel beitragen.
Bergbau ist ein weiteres Beispiel. Unser Alltag ist ohne Mineralien nicht denkbar, angefangen bei Eisen für die Stahlproduktion bis hin zu Lithium für Batterien oder Silikon für Halbleiter. Bergbau ist jedoch nicht nachhaltig, er verursacht hohe Emissionen, zudem sind die Arbeitsbedingungen häufig schlecht. Wenn Sie Bergbauunternehmen ausschliessen, entgeht Ihnen die Performance eines im Aufschwung begriffenen Sektors. Stewardship ermöglicht Ihnen, Ihre Positionen in diesen Unternehmen zu halten und ihren Wandel voranzutreiben, indem Sie sich für Sorgfaltsprüfungen zur Einhaltung der Menschenrechte, Beurteilungen der Auswirkungen auf die Umwelt und bessere Praktiken einsetzen. Dieser Ansatz steht im Zentrum von Advance, dem gemeinschaftlichen Engagement der PRI in den Sektoren Bergbau und erneuerbare Energiequellen.
Die Öffentlichkeit versteht unter Verkäufen den Abzug von Geld aus Unternehmen. Wenn die LGT Aktien eines Erdölunternehmens für 100 Millionen Dollar abgibt, liegt der Gedanke nahe, dass dieses Unternehmen nun 100 Millionen Dollar weniger zur Verfügung hat. In Tat und Wahrheit werden die Aktien an einen anderen Investor verkauft, für den ESG-Kriterien mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht von Bedeutung sind. Wenn Anlegerinnen und Anleger in bester Absicht aus Anlagen aussteigen, führt dies dazu, dass die betreffenden Unternehmen immer mehr Parteien in die Hände fallen, die kaum Interesse an einer Verbesserung der ESG-Performance haben.
Nein. Und Sie sollten wissen, dass Veräusserungen kein Weg zu einer Netto-Null-Wirtschaft sind. Wir müssen jedes einzelne Unternehmen einbinden, um den Klimawandel zu minimieren. Das bedeutet, dass wir dort dabeibleiben müssen, wo ein nachhaltiger Wandel realistisch ist, und den Einfluss unserer Investitionen nutzen sollten, um in diesen Unternehmen den Wandel zu unterstützen und zu beschleunigen.
Emmet McNamee ist Head of Stewardship, Active Ownership 2.0, bei den UN-Prinzipien für verantwortliches Investieren (Principles for Responsible Investment, PRI).
Die LGT arbeitet mit folgender Definition: "Stewardship besteht in der verantwortlichen Allokation, Verwaltung und Beaufsichtigung von Kapital zur langfristigen Wertschöpfung für Kundinnen, Kunden und Endbegünstigte, was zu nachhaltigen Nutzeffekten für die Wirtschaft, die Umwelt und die Gesellschaft führt, von denen wiederum die Renditen sowie die Interessen der Kundinnen, Kunden und Endbegünstigten abhängen." Diese Definition fusst auf dem britischen Stewardship Code und der Definition in den Prinzipien für verantwortliches Investieren (Principles for Responsible Investments, PRI), den weltweit Befürwortern des Stewardship.