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Market View & Insights
Klimaforscher Reto Knutti gehört seit Jahren zu den gefragtesten Expertenstimmen. Ein Gespräch über Verzicht, Politik, netto null und Investments.
Jeder Monat bringt neue Hitzerekorde, Überschwemmungen, Dürren und Unwetter-Katastrophen. Was muss passieren, um den Trend umzukehren? Reicht die Zeit noch dafür? Wie lassen sich Menschen, die von einer drohenden Klimakatastrophe nichts mehr hören mögen, für nötige Massnahmen gewinnen?
Reto Knutti, Professor am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich, gibt Antworten. Als einer der führenden Klimaforscher weltweit hat der 50-Jährige an mehreren Berichten des Weltklimarats IPCC mitgearbeitet und gehört zu den gefragtesten Experten im deutschen Sprachraum.
Herr Knutti, viele Menschen scheinen auf das Thema Klimawandel und die Notwendigkeit zur Veränderung eher abwehrend zu reagieren.
Knutti: Über die Jahre hat sich meine Auffassung verstärkt, dass man die Leute nicht überzeugt, indem man ihnen immer wieder sagt, dass alles ganz schlimm ist. Die sozialwissenschaftliche Forschung zeigt, dass der Mensch nicht sehr rational ist. Wir sind viel mehr beeinflusst von Erfahrungen, vom Bauchgefühl und von Menschen, die uns nahestehen. Wir orientieren uns an Bildern, an Geschichten, an Botschaften - viel mehr als an Fakten. Gleichzeitig gibt es immer mehr Beispiele dafür, dass etwas, das gestern noch Verzicht war, morgen kein Verzicht mehr sein muss. In einigen Bereichen sind die Alternativen bereits heute attraktiver. Das batterie-elektrische Fahrzeug wird sich durchsetzen - nicht, weil man umsteigen muss, sondern weil es einfach günstiger ist. Es ist leiser. Es ist attraktiver. Es ist angenehmer. Mit den richtigen Preisanreizen wird sich auch die Wärmepumpe durchsetzen, weil sie am Ende günstiger ist als die Ölheizung. Bei Neubauten ist das heute schon so.
Klimawandel ist ein globales Problem. Braucht es eine überstaatliche Organisation, die auch Verfügungsgewalt hat?
Ich glaube, man hat erkannt, dass man es nur gemeinsam lösen kann. Aber ich glaube nicht, dass man ein kollektives Organ mit der Umsetzung beauftragen könnte. Die Nationen sind souverän, und sie werden weiterhin souverän bleiben. Ich sage schon seit vielen Jahren: Klimapolitik ist primär nationale Politik. Internationale Konferenzen sind wichtig für den Austausch und die politische Koordination - aber jedes Land muss mit seinen Möglichkeiten, seiner Bevölkerung, in seinem politischen und technologischen Kontext Lösungen finden. Und die Länder werden es früher oder später lösen, weil es für sie Sinn macht - nicht, weil sie dazu verpflichtet werden.
China ist Musterschüler bei E-Mobilität und Solarstrom, lässt aber weiterhin neue Kohlekraftwerke bauen. Wie geht das zusammen?
Es ist ein Zeichen für Chinas Wirtschaftswachstum. Um das zu befriedigen, müssen sie alles gleichzeitig tun. Aber China sieht natürlich, dass die Zukunft in den erneuerbaren Energien liegt. Sie haben strategisch sehr geschickt diesen ganzen Markt übernommen. Es hat angefangen mit der Photovoltaik und geht jetzt weiter mit den batterie-elektrischen Fahrzeugen und der Elektrifizierung der Wirtschaft generell.
Stellen wir uns vor, wir würden ab 2050 keine weiteren Treibhausgase in die Atmosphäre abgeben. Ist das überhaupt ausreichend?
Natürlich wäre es besser, schneller zu sein. Was ist dafür nötig? Das ist immer eine Frage von technischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Machbarkeit. Wenn wir bis 2050 netto null schaffen, dann hätten wir wohl das Grobe verhindert. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Ziel verfehlen, hoch. Nicht, weil wir die Transformation nicht bewältigen könnten - sondern weil wir nicht genügend rasch handeln.
Wie erklären Sie sich diese Zögerlichkeit?
2050 ist übermorgen. Politisch und wirtschaftlich. Wir müssen uns schon bewusst sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, die über 80 Prozent der primären Energie aus fossilen Brennstoffen bezieht. Gleichzeitig muss es schnell gehen: Bis 2030 sollten wir die Emissionen halbiert haben. Das ist für eine technische und gesellschaftliche Transformation unglaublich ambitioniert. Darum sage ich, ich wäre glücklich, wenn wir netto null bis 2050 erreichen würden.
Wenn netto null ambitioniert ist: Was muss passieren?
Es braucht überall Massnahmen, denn die Emissionen kommen aus allen Sektoren - primär aus der Mobilität, also Autos, LKW, Schifffahrt und Luftfahrt. Sie hängen aber auch mit Gebäuden zusammen, dazu kommen Industrie, Landwirtschaft, Dienstleistungen und Abfallwirtschaft. In vielen Ländern ist auch die Stromerzeugung ein ganz wesentlicher Faktor. Der grösste Teil der Reduktionen, zumindest kurzfristig, geht über Effizienz, erneuerbare Energien und Elektrifizierung der Wirtschaft. Wir wissen, wie es geht - aber man muss es eben umsetzen. Man muss die batterie-elektrischen Fahrzeuge fördern, mehr Wärmepumpen installieren; auf Sonne, Wind und Wasserkraft umsteigen; die Effizienz erhöhen. Damit wäre der grösste Teil bis 2030 schon geschafft. Dann kommen die schwierigen Dinge.
Woran denken Sie?
An Landwirtschaft zum Beispiel. Dort wird es Rest-Emissionen geben, etwa durch Dünger. Für Hochtemperatur-Anwendungen wie die Stahlproduktion brauchen wir neue Lösungen; da wird wahrscheinlich Wasserstoff eine Rolle spielen. Nachhaltiges Fliegen verlangt den Umstieg auf synthetische Treibstoffe. In der Abfallverbrennung muss es gelingen, Abgase einzufangen und zu sequestrieren. Sie sehen: Es gibt ein Portfolio von Herausforderungen. Aber kurzfristig ist es klar: Effizienz, Elektrifizierung und erneuerbare Energie würden uns schon weit voranbringen.
Wie schnell können erneuerbare Energien tatsächlich Öl, Kohle und Erdgas ersetzen?
Solar hat wahrscheinlich das höchste Potenzial, weil Strom aus Sonnenenergie extrem günstig ist. An guten Standorten produziert man Solarstrom heute für anderthalb Cent pro Kilowattstunde. Aber ein Energiesystem muss ja immer Strom liefern und nicht nur, wenn die Sonne scheint. Ein resilientes Energiesystem basiert immer auf sehr vielen Technologien gleichzeitig. Wind ist eine ideale Möglichkeit, das zu komplettieren, gerade auch im Winter. Dazu Geothermie und in Ländern wie der Schweiz auch Wasserkraft und Stauseen. Zur Speicherung bieten sich Batterien an, wenn es um kurze Zeitskalen geht. Dann braucht es noch ein gut ausgebautes Netz und europäische Stromabkommen. Wenn die Länder sich gegenseitig helfen, dann kann man diese Produktions- und Lastunterschiede gut ausgleichen.
Welche Rolle spielt der Finanzsektor bei der Transformation?
Der Hebel über finanzielle Investitionen ist beträchtlich. Natürlich entscheiden am Ende alle selber; aber Ihre Leserinnen und Leser können mit der Art, wie sie ihr Geld anlegen, durchaus etwas steuern. Anlegerinnen und Anlegern wissen heute, welche Verantwortung und Wirkung sie potenziell haben, wenn sie in neue Technologien investieren oder wenn sie gewisse Investments aus ihrem Portfolio ausschliessen. Nehmen Sie als Beispiel die "Science Based Targets"-Initiative, kurz SBTi. Man könnte etwa sagen: "Ich investiere nur in Unternehmen, die sich SBTi-Ziele gesetzt haben." Das hat Wirkung, weil die SBTi auch Lieferketten berücksichtigt. Es gibt aber auch Angebote, die einfach einen grünen Schriftzug tragen, aber nicht wirklich nachhaltig sind. Deshalb ist es wichtig, dass man sich beispielsweise ein Finanzinstitut sucht, das sauber diese Daten erhebt und versucht, die Bemühungen der Unternehmen zu quantifizieren und sie transparent abzubilden.
Als LGT wollen wir einen aktiven Beitrag zu den nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO (SDGs) leisten. Im Fokus steht dabei unter anderem die Bekämpfung des Klimawandels. Dazu müssen die Nettoemissionen auf null sinken. Wir unterstützen dieses Ziel aktiv in all unseren Geschäftsbereichen - auf der Investmentseite, genauso wie in der Beratung unserer Kundinnen und Kunden sowie im Betrieb.