The Strategist

Verpufftes Zinssenkungspotenzial

Investoren sind langfristig mit einem höheren Zinsniveau konfrontiert, sowohl in den USA als auch im Euroraum. In diesem Umfeld sollte man sich auf die mittelfristigen Wachstums-, Inflations- und Markterwartungen fokussieren. Wir halten absolut wie relativ an unserer Einschätzung hinsichtlich der Attraktivität von Unternehmensanleihen fest.

Datum
Autor
Thomas Wille
Lesezeit
10 Minuten

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In den ersten sechs Handelswochen des laufenden Jahres haben Investoren bereits mehrere makroökonomische Szenarien durchgespielt, bzw. haben diese implementiert. Beim Jahreswechsel ging man an den Kapitalmärkten tendenziell von einer nur «leichten» Rezession oder, im entgegengesetzten Fall, von einer «harten Landung» der US-Wirtschaft aus. Dies wurde dann wiederum schnell vom Szenario einer «sanften Landung» abgelöst. Nach den jüngst überraschend robust ausgefallenen volkswirtschaftlichen Daten aus den USA, insbesondere mit Blick auf den Arbeitsmarkt, steht nun die Frage eines «No Landing» im Raum. In diesem Szenario würden sich Teile der Wirtschaft zu wenig schnell abkühlen, während andere sich wieder beschleunigen, was zu erneutem Preisdruck im System führt. 

Die Medien mit dem Drang, täglich neue Nachrichten zu kreieren, fühlen sich in einem derart schnell wechselnden Umfeld natürlich pudelwohl. Dies trägt aber auch zur Volatilität an den Kapitalmärkten bei, da der Fokus der Wirtschaftsmedien vielfach lediglich auf die nächsten Tage und bestenfalls Wochen gerichtet ist. In einer solchen Phase sollten Anleger sich auf die mittelfristigen Erwartungen von Wachstum und Inflation konzentrieren und berücksichtigen, was die Kapitalmärkte – allen voran der Anleihenmarkt – in den kommenden Quartelen jeweils eingepreist hat.

Höher für länger

Die wohl wichtigste Veränderung in den letzten vier Wochen ist, dass Investoren langfristig mit einem höheren Zinsniveau als bislang erwartet konfrontiert sind. Denn sowohl in Bezug auf die US-Notenbank als auch die Europäische Zentralbank (EZB).

In den USA wird nun ein Zinsschritt mehr erwartet, was wir derzeit jedoch als Hintergrundrauschen abbuchen würde. Ob die Zinsen nun bei 5% oder bei 5.25% den Höchststand erreichen, macht unserer Ansicht nach keinen Unterschied. Jedoch wurde der Hoffnung auf schnelle Zinssenkungen, einem sogenannten «Pivot», eine klare Absage erteilt und an den Märkten über 100 Basispunkte (in vier Zinsschritten) wieder aus den Erwartungen entfernt. Wir bleiben bei der Einschätzung, dass die amerikanische Zentralbank weiterhin nur wenig Flexibilität für einen wirklichen «Pivot» hat.

Ein ähnliches Bild zeigt sich im Euroraum, wo die Finanzmärkte nun ebenfalls davon ausgehen, dass die EZB ihre Leitzinsen für längere Zeit auf höherem Niveau halten wird. Die EZB geht in ihren aktuellen Prognosen von einer Inflationsrate in der Eurozone von 6.3% und einer Kernrate von 4.2% per Ende 2023 aus. Dies offenbart kaum Potenzial für Zinssenkungen. Beidseits des Atlantiks erwarten wir deshalb für längere Zeit höhere Zinsen, sollte es nicht zu einer globalen Rezession kommen. Dieses Szenario scheint aber zumindest für die kommenden Monate vom Tisch zu sein. Echtes Zinssenkungspotenzial scheint aus heutiger Sicht verpufft. 

Attraktive Unternehmensanleihen

In der Tat sind die Kreditrisikoprämien in den letzten Wochen gesunken, da Extremszenarien wie eine Rezession oder eine Energiekrise in Europa wieder «ausgepreist» worden sind. Dennoch ist mit dem Anstieg der Zinsen am kurzen Ende die Attraktivität weiter vorhanden. Wie wir beobachten können, ist in den USA die Rendite kurzfristiger Unternehmensanleihen auf dem gleichen Niveau wie die Gewinnrendite des S&P 500. Vor diesem Hintergrund halten wir absolut wie relativ an unserer Einschätzung hinsichtlich der Attraktivität von Unternehmensanleihen fest.

 

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