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Warum die US-Wirtschaft trotz höherer Zinsen weiter floriert

Im vergangenen Jahr prognostizierten viele Expertinnen und Experten eine Rezession der US-Wirtschaft, da der Leitzins rasch von null auf 5% angehoben wurde. Es wurde erwartet, dass die Erhöhung Investitionen und Nachfrage bremsen und das BIP-Wachstum in den negativen Bereich drücken würde. Überraschenderweise ist die Wirtschaft jedoch weiter gewachsen und die Wahrscheinlichkeit einer Rezession bleibt gering. Dies ist im Wesentlichen auf drei Faktoren zurückzuführen: strukturelle Veränderungen, die Widerstandsfähigkeit des Privatsektors und Staatsausgaben.

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Autor
Tina Jessop, Senior Economist, LGT Private Banking
Lesezeit
10 Minuten
Strategist US economic resilience
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Strukturelle Veränderungen verringern Zinssensitivität und Konjunkturabhängigkeit

Der Übergang zur digitalen Wirtschaft hat zu einer deutlichen Verlagerung der Investitionen von Sachanlagen wie Gebäuden und Ausrüstungen hin zu Software geführt. Heute fliesst ein Drittel der Unternehmensinvestitionen in Software, die weniger empfindlich auf Zinssätze und Wirtschaftszyklen reagiert als traditionelle Investitionen. Diese Software-Investitionen sind oft langfristiger Natur und werden seltener kreditfinanziert, was ihre Zinsempfindlichkeit verringert.

Auch die Arbeitsmärkte haben sich gewandelt, wobei sich die Beschäftigung zunehmend in den Dienstleistungssektor verlagert hat, der im Vergleich zum güterproduzierenden Sektor weniger anfällig für Konjunkturabschwünge ist. Auf den Dienstleistungssektor entfallen heute 85% der Beschäftigung ausserhalb der Landwirtschaf - gegenüber 60% in den 1960er Jahren - was den Arbeitsmarkt stabiler macht. 

Widerstandsfähigkeit des Privatsektors durch Verbindlichkeitsmanagement und Kursgewinne bei Vermögenswerten

Die Fähigkeit des privaten Sektors, Verbindlichkeiten und Vermögenswerte zu verwalten, hat ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums gespielt. Viele Unternehmen und Haushalte sicherten sich gegen steigende Zinssätze ab, bevor die US-Notenbank begann, die Zinsen anzuheben. Unternehmen gaben festverzinsliche Anleihen aus oder sicherten das Zinsrisiko von Krediten ab, während private Haushalte langfristige Festzinshypotheken aufnahmen. Darüber hinaus haben steigende Vermögenspreise und ein strategisches Cash-Management zu einem Anstieg des Nettovermögens und der Zinserträge geführt, wodurch die Auswirkungen höherer Zinssätze auf Verbindlichkeiten reduziert werden konnten. Die Verbraucherausgaben sind daher weiterhin stark, auch gestützt durch Ersparnisse aus Zeiten der Pandemie und Vermögenspreissteigerungen. Dies gilt insbesondere für Haushalte mit höherem Einkommen (die obersten 60%), auf die 80% der Ausgaben entfallen.

Erheblicher Anstieg der öffentlichen Ausgaben

Die Staatsausgaben haben die Wirtschaft zusätzlich gestützt, wie die ungewöhnlich hohen US-Haushaltsdefizite zeigen. Umfangreiche fiskalpolitische Massnahmen wie der "CHIPS-Act" und der "Inflation Reduction Act" haben Investitionen und Nachfrage angekurbelt, z.B. im Bereich Fertigungsbau. Rückgänge in anderen Bereichen, wie dem Wohnungsbau, wurden dadurch ausgeglichen. 

Straffere Geldpolitik trotzdem spürbar

Während die Wirtschaftstätigkeit insgesamt weiterhin stark ist, spüren einige Sektoren den Druck der hohen Zinssätze. So hat sich etwa der Wohnungsbau wie erwähnt verlangsamt. Die höheren Kreditkosten wirken sich auf einkommensschwächere Haushalte und kleinere Unternehmen aus. Haushalte mit niedrigem Einkommen verfügen in der Regel nicht über Wohneigentum oder Finanzvermögen und sind im Alltag stärker auf Verbraucherkredite angewiesen.

Je länger die Zinsen hoch bleiben, desto stärker die Auswirkungen auf das Wachstum

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die unerwartete Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft auf strukturelle Veränderungen bei den Investitionen und auf dem Arbeitsmarkt, die Resilienz des Privatsektors und auf umfangreiche öffentliche Ausgaben zurückzuführen ist. Obwohl es Anzeichen für eine Abkühlung der Konjunktur gibt, haben diese Faktoren das Wachstum bisher in der Nähe des Trendniveaus oder sogar darüber gehalten. Die längerfristigen Effekte der hohen Zinssätze dürften das reale BIP-Wachstum jedoch letztlich dämpfen. Bei anhaltenden hohen Zinsen dürften die negativen Auswirkungen auf das BIP-Wachstum mit der Zeit immer deutlicher werden.

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