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Wie führt man ein Weltklasse-Orchester auf Augenhöhe? Paavo Järvi, Music Director des Tonhalle-Orchesters Zürich, gibt Einblicke in seine Arbeit - und spricht über musikalische Visionen, junge Talente und den langen Atem der Klassik.
Die Leitung eines Orchesters ähnelt der Leitung eines Konzerns. Es geht darum, mit Menschen zusammenzuarbeiten und sie kontinuierlich zu motivieren. Man muss die Qualität jederzeit sicherstellen und sich überlegen, wohin die Reise gehen soll. Wenn das Ziel klar ist, findet man auch den Weg.
Zu Beginn der Proben habe ich als Dirigent eine klare Vorstellung davon, wie das Werk interpretiert werden soll. Das Orchester bereitet sich gründlich vor und bringt gelegentlich auch eigene Ideen ein. Die endgültige Entscheidung über die Interpretation liegt jedoch bei mir. Es ist meine Verantwortung, das Orchester von meiner Vorstellung zu überzeugen, damit letztendlich alle Mitglieder ein gemeinsames Verständnis der Interpretation haben.
Ich arbeite seit sechs Jahren mit dem Tonhalle-Orchester Zürich zusammen. Und die Musikerinnen und Musiker verstehen immer besser, was ich möchte - zum Beispiel, wenn es um die Klangqualität der Streicher oder den Rhythmus geht.
Ich glaube, wir alle brauchen eine Mentorin oder einen Mentor - jemanden, der an uns glaubt, ehrlich mit uns ist und uns wachsen lässt.
Klar ist aber: Weicht meine Interpretation sehr stark von der Vorstellung des Orchesters ab, nützt es nichts, wenn ich meinen Willen einfach durchsetze. Vielmehr muss ich den Musikerinnen und Musikern meinen Standpunkt näher bringen, damit sie ihn auch wirklich verstehen, und sie so abholen.
Wir haben in den letzten Jahren intensiv zusammengearbeitet. Das Orchester ist in fantastischer Form und hochmotiviert, auf Weltklasseniveau zu spielen. Wir haben ein gemeinsames Verständnis, wie wir Musik machen und wie wir an ein neues Werk herangehen. Wir sind eine Einheit und haben ein klares, gemeinsames Verständnis unserer verschiedenen Funktionen. Wir haben viel voneinander gelernt und lernen auch weiterhin laufend dazu. Dieses starke Miteinander macht mich stolz.
Ebenso erfüllt es mich mit Stolz, dass wir durch unsere CD-Aufnahmen auch Musikliebhaberinnen und -liebhaber in jenen Ecken dieser Welt erreichen, in die wir nicht reisen können. So hinterlassen wir einen musikalischen Fussabdruck auf sehr hohem Niveau, was immer wieder durch Auszeichnungen und positive Kritiken bestätigt wird.
Für mich waren die Mahler-Aufnahmen und -Konzerte Highlights. In einer solchen Aufnahme steckt so viel Detailarbeit. Man zerlegt das Werk buchstäblich. Das Orchester hat sich dabei selbst übertroffen.
In Erinnerung geblieben ist mir das Werk "Archora" von Anna Thorvaldsdottir, unsere "Creative Chair" der letzten Saison. Und auch das Erarbeiten des neuen Klavierwerks von John Adams, interpretiert von unserem Fokus-Künstler Víkingur Ólafson, war enorm spannend.
Darüber hinaus hat mich sehr gefreut, dass die LGT ihren Sponsoringvertrag verlängert hat. Für uns als Orchester ist finanzielle Stabilität essenziell, um langfristig planen zu können. Ich nehme die LGT als sehr engagierte Partnerin war. Auch das "Tram for Two" mit Anke Bridge-Haux hat mir sehr viel Spass gemacht.
Das ist richtig. Mir ist es wichtig, mein Wissen weiterzugeben, und die Academy gibt mir die Chance, dies zu tun. Die Bedürfnisse der jungen Dirigentinnen und Dirigenten zu identifizieren, intensiv zu diskutieren, ihre Technik gezielt zu verbessern - all das ist hochspannend. Gerade technisch ist das Niveau der Nachwuchsdirigentinnen und -dirigenten teilweise noch verbesserungswürdig. Ich habe den Eindruck, dass heute in der Ausbildung darauf etwas zu wenig Wert gelegt wird. Es reicht nicht aus, wenn man musikalisch gut ist, eine Leidenschaft hat und irgendwie dirigieren kann, aber eben die Technik fehlt…
Ich denke, dass wir alle einen Mentor oder eine Mentorin brauchen. Eine Person, die an uns glaubt, uns Regeln zeigt und Tipps gibt. Eine Person, die schonungslos ehrlich ist. Eine Person, die uns an die Hand nimmt und uns auch mal sagt, dass man die ersten zehn Aufführungen eines Werkes quasi vergessen kann. Perfektion braucht Zeit.
Ich kann am effizientesten konkrete Ratschläge geben, wenn ich neben der Dirigentin oder dem Dirigenten stehe und dadurch direkt erkenne, wenn sie oder er einen Fehler macht. Dann habe ich die Möglichkeit, unkompliziert einzugreifen und zu zeigen, wie man es anders machen kann. So kann das Gezeigte auch sofort ausprobiert und geübt werden.
Die klassische Musik wird es immer geben. Sie ist Teil unserer Kultur und unserer Tradition. Die Frage ist aber, welche Rolle sie künftig im Leben der Menschen spielen wird. Wenn die Gesellschaft die klassische Musik als immer unwichtiger erachtet, besteht die Gefahr, dass sie insgesamt an Aufmerksamkeit verliert.
Aber wir dürfen nicht pessimistisch denken. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass es kompetente Fürsprecher dieser Musik gibt und wir selbst auch als gute Missionare auftreten. Die Schönheit der Musik berührt uns alle.
Meine Töchter sind meine Inspiration. Die allgemeine Weltlage hingegen ist derzeit wenig inspirierend …
Ja, herausfordernd und vollgepackt ist er in der Tat. Aber in 40 Jahren in diesem Metier lernt man, wie man Zeit findet und was es braucht, damit man seine Batterien aufladen kann. Und man lernt auch, wie man sich selbst schützen kann. Wenn deine Arbeit die Musik ist, dann ist das unglaublich erfüllend. Musiker zu sein, ist nicht nur mein Job, sondern mein Hobby und meine Lebensart. Wer kann das schon behaupten von seinem Beruf?
Aber ich muss auch zugeben: Wenn ich ausnahmsweise mal keine Pläne habe, dann fühle ich mich schon auch sehr frei.
Die Förderung vielversprechender Musikerinnen und Musiker hat für die Fürstliche Familie von Liechtenstein eine lange Tradition - sie unterstützte schon Joseph von Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart. Diese Tradition führt die LGT als Hauptsponsorin des Tonhalle-Orchester Zürich fort.
Seit 1868 begeistert das Orchester Klassikliebhaberinnen und -liebhaber weltweit: Es trat bereits in über 100 Städten in mehr als 30 Ländern auf und wurde 2022 mit dem Europäischen Kulturpreis ausgezeichnet.