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Market View & Insights
Führungskräfte sind nicht immer stark und erfolgreich. Da sie wenig Menschen um sich herum haben, denen sie sich anvertrauen, fühlen sie sich oft einsam. Die Folgen sind krass und können im Extremfall zum Selbstmord führen. Führungskräfte und Unternehmen müssen Strategien erarbeiten, um mit dem Problem "Lonely at the top" umzugehen.
Mick Jagger sang davon, Randy Newman auch und zuletzt der nigerianische Künstler Asake: Wie es ist, "lonely at the top" zu sein - einsam an der Spitze. Die Stars beklagen, dass sie, ganz oben angelangt, nicht immer glücklich seien, sondern oft auch einsam und depressiv.
Was für die Musik- und Glamourwelt zutrifft, gilt auch in der Wirtschaftswelt: Wer CEO eines bedeutenden Unternehmens wird, ist mit der Einsamkeit an der Spitze konfrontiert. Das Phänomen gehört zum Job wie ein gutes Gehalt. Die Verantwortung und der Entscheidungsdruck, die auf Führungspersönlichkeiten lasten, aber auch der Mangel an ehrlichem Feedback sowie die soziale Isolation durch die Hierarchie lassen erfolgreiche Spitzenmanagerinnen und -manager an sich selbst verzweifeln.
Die wenigen aktuellen Daten sprechen für sich: 2024 gaben in einer Befragung 55 Prozent der CEOs an, dass sie im vorangegangenen Jahr ein psychisches Problem hatten. Das ist ein Anstieg um 24 Punkte gegenüber 2023. Die Rede ist von Angstzuständen, Depressionen, Einsamkeit, Zwangsstörungen oder Burnout. Ansonsten ist über die Einsamkeit von Führungskräften nicht sehr viel bekannt. Das ist auch kein Wunder - die wenigsten Topkader haben ein Interesse, ihre Verletzlichkeit preiszugeben.
Führungskräfte, die nicht auf der Höhe ihrer mentalen Gesundheit sind, schaden nicht nur sich selbst, sondern auch dem Unternehmen. Im Extremfall führt das sogar zu einer Verzweiflungstat, wie die "Serie" von Suiziden in den späten 2000er- und 2010er-Jahren zeigt, als sich unter anderem der CEO des Schweizer Telekomunternehmens Swisscom, der Finanzchef des Versicherers Zurich, der Finanzchef der verstaatlichten US-Hypothekenbank Freddie Mac, der Gründer der Merckle-Gruppe und der Chef der Schweizer Privatbank Julius Bär das Leben nahmen.
Führungspersonen in höheren Managementpositionen tragen viel Verantwortung - auch für schwierige und unpopuläre Entscheidungen, die weitreichende Konsequenzen haben können. Zudem stehen sie stark unter Beobachtung, vom Verwaltungsrat, von der Politik, den Medien. Je höher jemand in der Hierarchie eines Unternehmens aufsteigt, desto schwieriger ist es, ehrliches Feedback zu erhalten. Die Peergroup wird kleiner, die Verantwortung grösser. Politische Spielchen und strategische Machtkämpfe nehmen an der Spitze zu.
Die Beratungsfirma McKinsey weist darauf hin, dass Einsamkeit zum Dasein von Führungskräften gehört. Die Frage ist nur, wie diese damit umgehen. Auch Norina Peier, Coach und Organisationsentwicklerin aus Zürich, kennt das Phänomen "Lonely at the top" aus ihrer Praxis. Sie sagt: "Wenn jemand in eine Führungsrolle aufsteigt, verändern sich viele Beziehungen oft schlagartig. Mitarbeitende verhalten sich anders, sind zurückhaltender, überlegen sich zweimal, ob sie die Kritik tatsächlich ansprechen möchten."
Peier betont, dass die meisten Führungskräfte mit dem Phänomen "Lonely at the top" sehr gut umgehen. Voraussetzung seien "tragfähige und vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden, Gleichgestellten und vor allem Vorgesetzten". Erst wenn die Beziehungen nach weiter oben ins Wanken gerieten oder sogar von Missgunst oder sehr stark divergierenden Interessen geprägt seien, fange das Vertrauen an zu bröckeln und die Einsamkeit könne zur Belastung werden.
Es lohne sich daher, von Anfang an in tragfähige Arbeitsbeziehungen zu investieren und diese aufzubauen, findet Peier. "Das braucht Zeit und den stetigen Willen, die Kultur der Zusammenarbeit zum Thema zu machen", ergänzt sie. Je weiter oben in der Hierarchie man sich befinde, desto wichtiger würden Selbstführung und Beziehungspflege.
Bedeutung bekommen deshalb Coachings, Mental Health-Programme sowie Achtsamkeits- und Resilienztrainings für Unternehmen und deren Führungskräfte. "Man kann daran arbeiten, auf sich selbst zu achten und aufbauende Beziehungen im Beruf und im privaten Bereich zu pflegen", sagt Peier. Denn: "Es ist und bleibt eine Herausforderung, sich auf C-Level echte, vertrauensvolle und tragfähige Beziehungen aufzubauen."
Auch der Umgang mit Gefühlen sollte an der Spitze kein Tabu sein. Allein schon Gefühle der Einsamkeit oder Isolation zu erkennen, könne eine grosse Erleichterung sein, sagt Thomas J. Saporito von der Leadership-Beratungsfirma RHR International. "CEOs sollten vom ersten Tag an eine Gruppe von vertrauenswürdigen Beratern aufbauen" mit dem Ziel, ein "ehrliches, ungeschminktes Feedback" zu bekommen. Zudem rät Saporito, den Kontakt zum Team aktiv zu pflegen und Gefühle zuzulassen. Es sei an der Zeit, "Gefühle anzuerkennen und proaktiv daran zu arbeiten, sie zu managen".
Einer, der als Führungskraft und Betroffener schon ganz in diesem Sinne handelt, ist Lars Fruergaard Jørgensen, scheidender CEO des Pharmariesen Novo Nordisk.
Nicht nur sprach Jørgensen kürzlich öffentlich über seine Ängste, und dass er lange Zeit "das Gefühl hatte, dass ich weniger gut bin". Der Däne ordnete auch an, dass in seinem Unternehmen die Zahl der Mitarbeitenden, die unter Stress leiden, gesenkt werden müsse.
Man könne kein Unternehmen führen, wenn mehr als zehn Prozent der Mitarbeitenden unter Stress litten. Und er gab die Devise heraus: "Wir stellen sicher, dass wir die Führungskräfte darüber aufklären, was es bedeutet, Stress zu mindern."
Laut Erin Meyer, Management-Professorin und Autorin des Buches "The Culture Map: Breaking Through the Invisible Boundaries of Global Business" sind Führungskulturen weltweit sehr unterschiedlich. Meyer ordnet sie auf einer Matrix von top down bis konsensorientiert sowie von autoritär bis egalitär:
Je nach Region stehen Führungskräfte deshalb vor unterschiedlichen Herausforderungen: Sie werden am Börsenkurs gemessen (USA), stehen unter Druck der Stakeholder (Europa) oder sind mit Hierarchien, Traditionen und gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert (Asien).
1. Förderung eines starken Führungskräfte-Netzwerks:
2. Professionelle psychologische Unterstützung:
Beispiel: Firmen wie Google und SAP bieten Achtsamkeitsprogramme für ihre Führungskräfte an
3. Realistische Work-Life-Balance fördern:
Beispiel: LinkedIn bietet Führungskräften mehrmonatige Sabbaticals, um Burnout vorzubeugen
4. Unternehmenskultur ändern: Keine "Helden-Mentalität":
5. Regelmässige anonyme Befragungen und Frühwarnsysteme:
Beispiel: Microsoft analysiert Arbeitsmuster, um Anzeichen von Überlastung zu identifizieren
Sabina arbeitet seit langem im Journalismus. Bei der Neuen Zürcher Zeitung, beim Sonntagsblick, im Wirtschaftsressort der Aargauer Zeitung, als Nachrichtenchefin und Spezialistin für digitale Werbeformen bei Watson. Als Gründerin und Inhaberin von Panda&Pinguin ist sie heute unter anderem als freie Autorin tätig.