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Market View & Insights
Die Dürre nahm der kenianischen Bäuerin Nancy Kemboi Vieh und Ernte. Doch das war früher. Heute reichen ihre Futtervorräte für zwei Jahre. Das verdankt sie der Wiederbegrünungsmethode FMNR, der neuen Artenvielfalt auf ihrem Land - und ihrem Innovationsgeist.
Nancy Kemboi gräbt mit blossen Händen in der schweren, dunkelbraunen Erde, legt die Wurzeln einer Süsskartoffel frei. Die Bäuerin wirft die erste dicke, erdverschmierte Knolle neben sich, sie ist sicher 15 Zentimeter lang. Dann schiebt sie die Blätter sorgfältig beiseite und gräbt weiter, das Grünzeug ist wertvolles Futter für ihre Tiere. Immer mehr Knollen holt sie so aus der Erde.
Wer Kemboi zusieht, käme nicht auf die Idee, dass sie in einer der halbtrockenen Regionen Kenias lebt, wo schwere Dürrephasen immer wieder komplette Ernten und Herden vernichten. Hinter dem Zaun ihres Gemüsegartens wächst sattgrünes Gras, das sich im leichten Wind wiegt, dazwischen stehen vereinzelte Bäume, am Horizont ragt eine Hügelkette auf.
Das Gras ist nicht irgendeine Sorte, sondern wie alles hier von Kemboi aus guten Gründen gesät: Es handelt sich um Boma Rhodes, eine nährstoffreiche Futterpflanze, die dank langer Wurzeln auch mit Trockenphasen gut zurechtkommt. Daneben wächst Napiergras, das für Tiere nicht ganz so nahrhaft, aber ebenfalls sehr widerstandsfähig ist und die Erde - wie Boma Rhodes - vor starken Winden, Platzregen und Ausdörren schützt.
"Das Gras auf meinen Weiden wächst üppig, meine Kühe haben genug zu fressen", bestätigt Kemboi. "Deshalb geben sie viel Milch, die ich verkaufe und gut daran verdiene." Und das ist nicht ihre einzige Einnahmequelle: Zum Markt bringt die über Sechzigjährige auch den Honig aus ihren Bienenstöcken, in guten Jahren das Gras ihres Weidelandes, die Eier ihrer rund 50 Hühner, hin und wieder die Hühner selbst, sowie ab und an eines ihrer Schafe oder Kühe. Im eigenen Garten verkauft sie zudem Obst und Gemüse.
"Ich habe jede Menge Geld", sagt die Bäuerin, während sie im Gemüsegarten steht, in der Furche zwischen Süsskartoffeln und Kohl, ihre Hände und die Füsse, in offenen Schuhen, voller Erde.
Der Satz könnte prahlerisch klingen, tut es aber nicht. Er zeugt vom Glück darüber, davongekommen zu sein. Und vor der nächsten Dürre keine Angst haben zu müssen - jedenfalls hat Kemboi keine. Denn sie fühlt sich gut gerüstet: "Die Futtervorräte für meine Tiere reichen für zwei Jahre. Und ich arbeite daran, dass wir auch vier Jahre überstehen können."
Für die Menschen, die in trockenen oder halbtrockenen Regionen wie hier in Baringo im Westen Kenias leben, sind Tiere die Lebensversicherung: Wenn die Felder und Gärten in einer extremen Trockenphase nicht mehr bestellt werden können, liefern Ziegen, Schafe, Kamele und Rinder immer noch Milch. Oder sie können verkauft werden. Wenn das Vieh allerdings stirbt, wenn es verhungert oder verdurstet, wird es für die Menschen lebensbedrohlich.
Kemboi hat selbst erfahren, was es bedeutet, wenn die Herde Tier um Tier verendet. Ihre Katastrophe begann im Jahr 2000. Der Regen, der jedes Frühjahr fallen sollte, blieb vier lange Jahre aus. Am Ende waren ihre 22 Kühe und zwölf Schafe tot, und Nancy Kemboi stand vor dem Nichts. Glück im Unglück: Ihr 20 Jahre älterer Mann konnte als Chief, als Verwaltungsangestellter der Regierung, das Überleben der siebenköpfigen Familie sichern.
Für Schulgeld oder Medikamente reichte sein schmales Einkommen jedoch nicht. Kemboi, damals 41 Jahre alt, fing ganz von vorne an: Sie kaufte die erste Kuh, liess sie kalben, baute sich nach und nach eine neue Herde auf. Doch trotz kleiner Erfolge blieb sie verletzlich, jede Dürre konnte alles wieder vernichten.
Dann, 2015, lernte Kemboi, wie sie entwaldete Böden wieder begrünen kann: indem sie Samen, die von Tieren verteilt wurden, austreiben lässt. Oder die kleinen Triebe hegt, die aus den Wurzeln gerodeter Bäume schlagen. Die internationale Hilfsorganisation World Vision hatte die Schulung für Bäuerinnen und Bauern organisiert. Kemboi hörte, dass sie die jungen Schösslinge vor Ziegen und anderen Tieren schützen und sie gezielt beschneiden müsse, sodass sie zu kräftigen Bäumen würden.
Das Ergebnis steht nun in lockeren Abständen auf Kembois Weideland. FMNR heisst diese Methode, das Kürzel steht für "Farmer Managed Natural Regeneration" (auf Deutsch: Natürliche Regeneration durch Landwirte). "Früher haben wir die Bäume gefällt, sogar sehr grosse, obwohl sie Schatten spendeten", erinnert sich Kemboi. "Wir haben daraus Holzkohle gemacht und von den Einnahmen Essen gekauft - innerhalb eines Tages war alles weg."
Die von Landwirtinnen und Landwirten selbst verwaltete natürliche Regeneration ("Farmer Managed Natural Regeneration", FMNR) ist eine einfache und kostengünstige Methode zur Wiederbegrünung von verarmten und entwaldeten Böden, die ohne neue Baumpflanzungen auskommt. Der australische Agrarexperte Tony Rinaudo entdeckte diese traditionelle Methode vor fast vier Jahrzehnten in Niger wieder. 2018 wurde er dafür mit dem "Alternativen Nobelpreis" ausgezeichnet, dem "Right Livelihood Award".
Dass sie die Bäume nun stehen lässt, dabei aber gezielt beschneidet, die Äste für Feuerholz und die Rinde als Futter nutzt, hat vieles zum Besseren verändert - nicht zuletzt ihr Einkommen: Der Boden hält das Wasser besser und ist reicher an Nährstoffen. Das Gras wächst dichter, das Vieh hat mehr zu fressen und gibt mehr Milch. In Dürreperioden kann Kemboi Rinde verfüttern, während ihre Nachbarn den Tieren in der letzten schweren Trockenphase nur noch Pappe anbieten konnten, um wenigstens deren Mägen zu füllen.
Erst vor zwei Jahren ging in Baringo und anderen Regionen Kenias die letzte Dürre zu Ende: Zwischen 2021 und 2023 sind im ganzen Land mindestens zweieinhalb Millionen Tiere verhungert oder verdurstet: Rinder, Schafe, Ziegen, Kamele, Esel. Kemboi dagegen hat ihre gesamte kleine Herde durch die harte, trockene Zeit gebracht. Seitdem haben ihre Tiere schon wieder Nachwuchs geboren, einige besonders kräftige Kühe und Schafe hat Kemboi hinzugekauft. Inzwischen besitzt sie 29 Kühe, 76 Schafe und 50 Hühner.
"Unsere Grundeinstellung hat sich verändert", sagt Kemboi. FMNR bedeute ja, dass Bäuerinnen und Bauern das Management der natürlichen Regeneration übernehmen. "Ich manage jetzt alles, auch meine Kühe, Schafe und Hühner, die Bienenstöcke und meinen Gemüsegarten." Seitdem fehle es ihr an nichts.
"Bevor ich mit FMNR angefangen habe, hatte ich kein Gemüse, kein Brennholz. Die Zeit, die ich früher brauchte, um Feuerholz zu sammeln, nutze ich jetzt für meinen Gemüsegarten."
Bei der Gartenarbeit geht es nicht nur darum, die Erde aufzulockern und in der Trockenphase zu giessen. Schliesslich versteht sich Kemboi nicht als einfache "Handwerkerin" in ihrem Garten, sondern eben auch als Managerin ihrer Farm. Sie gehe in ihr Büro, sagt sie gerne, wenn sie in ihrer Arbeitskleidung zum Gartenwerkzeug greift.
Auch gibt sie sich nicht mit dem zufrieden, was bereits halbwegs zuverlässig wächst, sondern sucht ständig Verbesserungen in ihrem Angebot: Sie überlegt, was ihre Kundschaft sonst noch benötigen könnte. Und was hilft, um den Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken - also damit klarzukommen, dass sich die Regenfälle nicht mehr an die vertrauten Jahreszeiten halten, dass sie später kommen, abrupt oder viel zu früh enden. Oder ganz ausbleiben.
Das Schlüsselwort heisst Vielfalt: Bei Kemboi wachsen Mais und Perlhirse, Sorghum, Erdnüsse, Bananen, Orangen, Butternut-Kürbis, diverse Blattgemüse, rote Paprika und vieles mehr. Von etlichen Arten hat sie mehrere Sorten, weil diese zu unterschiedlichen Jahreszeiten reifen. "So kann ich das ganze Jahr über etwas ernten, immer etwas verkaufen", erklärt Kemboi.
Die Diversifizierung macht sie zudem widerständig gegen die Wetterkapriolen, die der Klimawandel mit sich bringt: Wenn eine Sorte aufgrund ungünstiger Regenfälle vertrocknet oder verfault, verliert sie nicht gleich ihre gesamte Ernte, sondern hat vielleicht mit einer anderen Variante der gleichen Art zu einer anderen Zeit im Jahr Glück.
Kemboi war Anfang 50, als sie FMNR gelernt und damit ihren Blick auf die natürlichen Ressourcen und ihren landwirtschaftlichen Betrieb grundsätzlich verändert hat. Seitdem verlässt sie immer wieder traditionelle Wege, setzt Ratschläge um, probiert Neues aus. "Ich will nichts unversucht lassen", sagt sie. Ein gutes Beispiel sind die Zwiebeln, die jetzt in ihrem Garten wachsen, eine davon hält Kemboi nun in der Hand. "Die Leute sagen, dass man bei uns keine Zwiebeln anbauen kann". Sie habe es eines Tages trotzdem ausprobiert - und war vom Ergebnis selbst ein bisschen überrascht: "Zwiebeln wachsen sehr gut, sieh dir diese an, wie kräftig die aussieht!"
Früher habe ich geführt, jetzt führt sie.
Ist Kembois Erfolgsrezept übertragbar? Landwirtschaftliche Schulungen, von denen sie so viel profitiert, erhalten auch andere. Im Unterschied zu vielen kenianischen Frauen hat sie allerdings Zugang zu Land, sie bewirtschaftet eine 16 Hektar grosse Fläche, das entspricht etwa 22 Fussballfeldern. Offiziell gehört das Land ihrem Mann Willy Kepruto Kemboi, doch der sieht in der Gleichberechtigung einen Schlüssel zum Erfolg. Das Ehepaar rechnet seine Einnahmen getrennt.
"Haushalte, in denen die Männer ihren Frauen vorschreiben, was sie zu tun haben, stehen wirtschaftlich schlechter da als diejenigen, in denen die Eheleute zusammen daran arbeiten, möglichst viel produzieren zu können", sagt der über Achtzigjährige. Nur im Team sei es möglich, resilient gegen Krisen zu werden.
Teamarbeit allein reiche aber nicht, meint Kepruto Kemboi. Entscheidend sei die Geisteshaltung, das Mindset: Nur wer offen sei für Neuerungen, könne Krisen überstehen. In seiner Jugend, also vor über 60 Jahren, war die Gleichberechtigung von Frauen kein Thema - in vielen ländlichen Regionen Kenias ist sie es bis heute nicht. Als lokaler Regierungsbeamter hatte er eine herausgehobene Stellung, war ans Führen gewöhnt.
Ungefähr zehn Jahre nach seinem Renteneintritt lernte seine Frau FMNR und startete als Bäuerin durch, wurde zum gefragten Vorbild in der Region - eine Autorität. Sie brachte auch ihrem Mann das Trimmen der Bäumchen bei, der sie seitdem dabei unterstützt. "Früher habe ich geführt, jetzt führt sie", meint er, die Hände auf seinen Gehstock gestützt. "Sie macht das sehr gut, ich fühle mich wohl in meiner neuen Rolle und gönne ihr den Erfolg." Vor der nächsten Dürre sorgt er sich ebenso wenig wie seine Frau.
Am nächsten Tag steht Nancy Kemboi vor rund einem Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörern auf ihrer Weide, erklärt ihnen die Vorteile von FMNR, von Gemüseanbau und Artenvielfalt. Unterstützt von World Vision und der Regierung des Landkreises, gibt sie ihr Wissen seit einigen Jahren weiter. "Höchstens 10 % greifen meine Ratschläge sofort auf", bedauert Kemboi. "80 % warten erst einmal ab und schauen, ob andere mit der neuen Methode erfolgreich sind." Sie wollten kein Risiko eingehen - und blieben verletzlich für die Folgen des Klimawandels.
Die Offenheit für Neues sei eine Voraussetzung für Resilienz, bestätigt Jane Lentupuru. Die Forstwirtin arbeitet für das Umweltamt von Baringo und ist seit 2015 dafür verantwortlich, die Resilienz der Bevölkerung zu stärken. Keine leichte Aufgabe in einem Landkreis, der zu 70 % in der trockenen und halbtrockenen Klimazone liegt, dessen Ökosystem deshalb deutlich weniger robust ist als die Umwelt in den gemässigten Breiten der Erde. Sie nennt allerdings Zahlen, die nicht ganz so pessimistisch sind wie die von Nancy Kemboi: 30 % probierten Verbesserungsvorschläge direkt aus, 50 % liessen sich nach und nach darauf ein, 20 % verweigerten sich auch nach längerer Zeit dem Neuen.
Alleine die Anpassungsfähigkeit und Experimentierbereitschaft der Bevölkerung reiche aber nicht aus, meint Lentupuru, um ihr Überleben trotz der spürbaren Folgen der Klimakrise zu sichern: "Wir müssen die Umwelt schützen, denn hier in diesen Gegenden ist das Überleben ohne die Natur unmöglich."