Finanzwissen

Was Anleger lesen sollten: Die Financial Times

Diese Zeitung ist die Bibel des Kapitalismus britischer Ausprägung.

Datum
Autor
Renzo Ruf, Gastautor
Lesezeit
5 Minuten
Financial times

Lachsfarben wird die «Financial Times» oft genannt. Der Grund dafür: Seit fast 130 Jahren erscheint die Londoner Wirtschaftszeitung auf Papier, das einen «markanten» Lachsrosa-Farbton aufweist. Im britischen Sprachgebrauch heisst das Blatt deshalb auch «The Pink ‘Un». Fachleute allerdings sind da anderer Ansicht. Das Pantone Color Institute bezeichnet das FT-Zeitungspapier als «Bisque», einem sehr hellen Farbton von Braun.

Natürlich ist diese Debatte ein Nebenschauplatz; für das hohe Ansehen, das die «Financial Times» unter Anlegerinnen und Anlegern geniesst, ist nicht die Farbe des Zeitungspapiers verantwortlich, sondern vielmehr die Arbeit der 700 Journalistinnen und Journalisten, die in 40 Ländern stationiert sind. Aber die Diskussion zeigt eben auch: Der FT gelingt es schon lange, sich von der blasseren Konkurrenz abzuheben. Kein Wunder, wird die Zeitung häufig die Bibel des Kapitalismus britischer Ausprägung genannt.

Im Besitz einer japanischen Mediengruppe

Den Strukturveränderungen der Branche konnte sich aber selbst das Traditionsblatt nicht entziehen. So ist die «Financial Times» eigentlich nicht mehr waschecht britisch. Seit nunmehr sechs Jahren befindet sich das Blatt im Besitz der japanischen Mediengruppe Nikkei. Auch bezeichnet sich die FT heute nicht mehr als Zeitung, sondern als «news organisation», als Informationsdienstleister. Die Zahl der Print-Abos belief sich nach Angaben der «Financial Times» im vergangenen Jahr nur noch auf 140’000; hinzu kommen 960’000 Abonnenten der digitalen Ausgabe. Letztere haben unter anderem Zugriff auf eine der fünf E-Papers, zugeschnitten auf Grossbritannien, Europa, die USA, Asien, und den Mittleren Osten. (Weil die FT schon lange eine harte Bezahlschranke besitzt, können nur zahlende Kunden die Angebote nutzen.)

Chefredaktorin kündigt sanfte Kurskorrektur an

Die Financial Times
Die Financial Times: Bibel des britischen Kapiitalismus © KEYSTONE/AP Photo/Matt Dunham

Geändert hat sich auch der Tonfall, in dem die FT über Finanzmärkte und Wirtschaftspolitik berichtet. Den Exzessen des freien Marktes steht das Blatt nun kritischer gegenüber. Unter Chefredaktorin Roula Khalaf, die erste Frau an der Spitze der FT-Redaktion, setzt sich die «Financial Times» für eine stärkere Regulierung von Technologiefirmen oder für die Beschränkung von Managergehältern ein. «Nur weil wir über Wirtschaft und Finanzen berichten, heisst das nicht, dass wir blind sind für die Probleme, die Globalisierung und Kapitalismus mit sich bringen», sagte die 56 Jahre alte Vollblutjournalistin kürzlich im Gespräch mit der deutschen Zeitschrift «Der Spiegel». Khalaf trat ihren Job zu Beginn des vergangenen Jahres an, kurz bevor die Corona-Pandemie die Weltwirtschaft lahmlegte.

Die Stärke der «Financial Times» besteht darin, Neuigkeiten auf das Wesentliche zu reduzieren. (Die gedruckte Ausgabe der Zeitung zählt unter der Woche häufig weniger als 30 Seiten.) Auf schier endlose Erzähltexte, wie sie zum Beispiel in amerikanischen Zeitungen die Regel sind, stösst man in der FT fast nie. Stattdessen setzt das Blatt auf knapp formulierte Artikel. Und auf Analysen und Kommentare von liberalen Edelfedern wie Edward Luce (Amerika), Gideon Rachman (Aussenpolitik), Martin Wolf (Wirtschaft) und Katie Martin (Finanzmärkte). Dass diese Aushängeschilder mehrheitlich männlich sind, ist kein Zufall. Die «Financial Times» gilt als Männerlektüre, und die Mehrheit der Leser ist über 50 Jahre alt und wohlhabend. Immerhin, sagt Chefredaktorin Khalaf, sei es der Redaktion gelungen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren. Die Zahl der Leserinnen nehme zu.

Ein «Lunch», der viel zu reden gibt

Eine der beliebtesten Rubriken der «Financial Times» ist übrigens, sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Lesern, der jeweils am Samstag publizierte «Lunch with the FT»: Ein Gespräch mit einer Person des öffentlichen Lebens, das idealerweise in einem vorzüglichen Restaurant geführt wurde. (Die FT macht sich einen Spass daraus, jeweils auch die Lunch-Rechnung abzudrucken.) Die Rubrik gilt als beliebte Plattform. So sprach die «Financial Times» in den vergangenen Monaten mit dem Pfizer-Konzernchef Albert Bourla (Kosten des Lunches: fast 240 US-Dollar), dem italienischen Spitzenpolitiker Matteo Salvini (150 Euro) und dem Credit Suisse-Verwaltungsratspräsidenten António Horta-Osório (161.40 Euro). Lachs wurde während dieser Mahlzeiten aber nicht serviert.

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Aufmacherbild: KEYSTONE/Gaetan Bally

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