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Market View & Insights
Wenn wir spielen, sind wir glücklich, kreativ und frei. Warum aber sind Kinder so viel besser darin? Und: Warum kann der Homo oeconomicus nicht spielen? Ein Gespräch mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Der Mensch ist ein spielendes Wesen, ein Homo ludens, wie es der niederländische Kulturanthropologe Johan Huizinga betont. Die Spielbegeisterung des Menschen reicht von der griechischen Antike über die Aufklärung bis in die Fussballstadien unserer Zeit.
Die Griechen waren vielleicht die spielbegeistertsten Menschen. Alle ihre kultischen Feiern waren Spiele. Denken Sie nur an Olympia: Alle vier Jahre kamen miteinander rivalisierende Stadtstaaten zusammen, haben ihre Konflikte beigelegt und miteinander gespielt. Auch die griechischen Götter waren streng genommen allesamt Spieler. Nach griechischem Verständnis kam der Mensch dem Göttlichen dann am nächsten, wenn er wie die Götter in einem Spielgeschehen aufgeht. Die Logik der Wettspiele lag nicht darin, zu gewinnen, sondern darin, dass das Spiel gelingt.
Das ist genau der Punkt. Wenn Sie ins Casino gehen, um Geld zu gewinnen, sind Sie vollkommen fehl am Platz.
Wenn Menschen stundenlang an Automaten stehen und den Jackpot wollen, hat das mit einem Spiel nichts mehr zu tun. Da hat sich der Homo oeconomicus in eine Spielwelt eingeschlichen und sie von innen zerstört.
Beim Homo oeconomicus handelt es sich um das dominante Menschenbild unserer Zeit. Es geht davon aus, dass bei allem, was wir tun, etwas Nützliches, Zweckmässiges und Vorteilhaftes herauskommen muss.
Genau: Aus der Logik des Homo oeconomicus ist das Spiel absurd, weil es unter ökonomischen Gesichtspunkten völlig nutzlos ist. Dafür aber sehr sinnvoll.
Er besteht darin, das Spiel zu spielen. Ausserdem macht spielen glücklich, man fühlt sich lebendig, kann Neues erproben. Menschen spielen gerne, weil sie in eine Welt eintauchen können, die eine andere ist als ihr Alltag. Wenn ich ins Fussballstadion gehe, bleibt der Philosoph in mir zu Hause, da tritt ein anderer in mir zum Vorschein. Oder nehmen Sie Monopoly: Plötzlich wird eine gestandene Linke zur Kapitalistin. Wer ganz in einem Spiel aufgeht, der weiss, was Glück und Freiheit ist.
Alle Spiele haben ihren Ursprung in kultischen Feiern. Der Archetypus des Spiels ist eine indigene Zeremonie, bei der ein Schamane ein Feld markiert, in dem dieser Kult stattfindet. Bei den Griechen war es ein Tempel, in dem etwas geschah, was im alltäglichen Leben nicht geschehen würde. Das ist für jedes Spiel ganz wichtig: Es gibt eine Spielzeit, einen Spielraum und ein gewisses Set an Regeln, das dazu dient, den Spielsinn oder die Spielidee verwirklichen zu können. Das Besondere am Spiel ist, dass es ein bemerkenswertes Mass an Freiheit bietet – ein Grund, weshalb Menschen so gerne spielen.
Die Freiheit entsteht gerade durch die klaren Regeln, auf die sich alle freiwillig verständigt haben. Beim Fussball wird das deutlich: Es gibt Regeln, aber niemand weiss, wie das Spiel ausgeht und was die Spielenden machen. Der Spielverlauf ist unberechenbar und geschützt vor Interventionen von aussen. Als jemand, der lange aktiv Fussball gespielt hat, weiss ich, dass es unmöglich ist, gut zu spielen, wenn ich während des Spiels an die Siegprämie denke.
Weil die eigentliche Freiheit des Spiels darin liegt, dass man um des Spielens Willen spielt. Sobald ein Spiel einem externen Zweck unterliegt, verliert es den Zauber. Eine weitere Faustregel lautet: Je einfacher das Regelwerk, desto besser das Spiel. Auch deswegen ist Fussball so attraktiv. Überall auf der Welt können Buben und Mädels mit einer leeren Blechdose kicken.
Die Forschung zeigt, dass das Gehirn Glückshormone ausschüttet. Die Frage ist nur: Sind wir glücklich, weil Hormone ausgeschüttet werden, oder schütten wir Hormone aus, weil wir glücklich sind? Als eher traditioneller Humanist glaube ich an Letzteres. Die Freiheitserfahrung, die uns das Spiel gewährt, und die Möglichkeit, Neues und Spannendes erleben zu können, tun der menschlichen Psyche gut.
Spielen bedeutet, sich einzulassen. Das zeigt sich auch in der Sprache. Wir sagen: Jemand gehe in seinem Spiel auf. Das ist eine schöne Formulierung. Sie bedeutet, dass die Ego-Fokussierung zurücktritt. Und das können Kinder sehr viel besser. Sie können sich wunderbar auf andere Rollen einlassen, in Spielwelten aufgehen und selbstvergessen Stunden in ihrem Spielzimmer verbringen.
Diese Haltung entstammt der Sicht des bereits erwähnten Homo oeconomicus, der bei allem, was er tut, seinen Nutzen optimieren will. Diese Ich-will-Mentalität ist die Feindin des Spiels, weil mit ihr das Ego in den Vordergrund rückt. Ganz grundsätzlich ist das Spiel immer dann in Gefahr, wenn man versucht, es ökonomisch nutzbar zu machen oder überhaupt Zwecken zu unterwerfen. Jedes Mal, wenn ich bei meinen Kindern etwa versuchte, ihnen pädagogisch sinnvolle Spiele unterzujubeln, stiegen sie aus, weil sie den Erziehungsgedanken spürten. Das Spiel wird durch seine Nutzbarmachung verdorben. Das passiert teilweise auch im modernen Theater, wenn es belehrend oder zu moralisch daherkommt. Der Effekt ist, dass niemand mehr ins Theater geht.
Weil es seinen spielerischen Charakter verliert. Die Moral ist dem Spiel zutiefst zuwider. Spiele sind, mit Nietzsche gesprochen, jenseits von Gut und Böse.
Lebendigkeit, Lebensfreude, Kreativität. Auch das Gesellige. Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten kommen zusammen, um zu spielen. Auch ins Fussballstadion pilgern Reich und Arm. Wo sonst geschieht das noch - ausser in Spielwelten?
Der Philosoph und Platon-Experte Christoph Quarch ist Autor verschiedener Sachbücher, darunter "Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als Funktionieren ist", das er 2016 mit Gerald Hüther veröffentlichte. Er berät Unternehmen und unterrichtet Ethik und Philosophie an verschiedenen Hochschulen.
Das ganze Interview finden Sie im LGT Kundenmagazin CREDO. Diese Ausgabe widmet sich dem Spiel in all seinen Facetten.