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Market View & Insights
Vom "Vibe Shift" bis zur "Disruption": In vielen Unternehmen gehört Business-Jargon zum Alltag. Doch was steckt hinter den Schlagworten - und wer profitiert von den nebulösen Bedeutungen?
"Zuerst sollten wir die low-hanging fruits priorisieren." - "Und Quick-wins erzielen?" - "Absolut, um die Synergien im Ecosystem zu nutzen." - "Sollen wir nicht zuerst die Stakeholder im Sounding Board abholen?" - "Unbedingt. Und dann skalieren wir das Programm disruptiv."
Nein, das ist keine Satire. So - oder ähnlich - klingen Dialoge in vielen Unternehmen. Kaum anderswo, nicht einmal auf den Schulpausenplätzen, spriessen Modewörter üppiger auf. Wieso eigentlich? Wer profitiert von diesem Business Jargon?
"Viele Unternehmensberatungen und Agenturen lancieren neue Begriffe, um sich auf dem Markt zu differenzieren und als innovativ zu gelten", sagt Stefan Häseli, Kommunikationsberater und Business Comedian. So sind Akronyme wie "VUCA" (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) und BANI (brittle, anxious, non-linear, incomprehensible) entstanden.
"Wenn ein Wort oft genug in den Medien auftaucht, gilt es als in. Es entsteht ein Gruppencode. Wer es braucht, signalisiert, dass er zur Business-Elite gehört."
"Wo Menschen eng zusammenarbeiten, entwickelt sich Sprache besonders dynamisch", sagt Christa Dürscheid, emeritierte Linguistik-Professorin der Universität Zürich. "Slang kann das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Und manche Begriffe helfen, Komplexes auf den Punkt zu bringen." Zudem werden uns manchmal Phänomene - etwa "Burnout" oder "Mental Load" - erst bewusst, wenn wir ein Wort dafür haben, und das sind dann oft Wörter aus dem Englischen. Oder es zeichnen sich Entwicklungen ab ("New Work"), die nach neuen Wörtern verlangen.
"Schlagwörter sind nicht per se gut oder schlecht. Sie sind wie Segelmanöver: Gut gesetzt geben sie Orientierung. Aber falsch gesetzt verschleiern sie Tatsachen", sagt Christiane Brandes-Visbeck, Geschäftsführerin der AHOI Innovationen GmbH und Mitautorin verschiedener Fachbücher wie "HR-Storytelling". Wirksame Führung greife nicht zu Worthülsen, sondern erzähle Geschichten, die den Kurs des Unternehmens sichtbar machten.
"Persönlich mag ich zum Beispiel den Begriff des Vibe Shift", meint Brandes-Visbeck. Er sei der Popkultur entlehnt und stehe für Trendwechsel. Nach Jahren des Dahindümpelns brauche es in der Businesswelt wirklich Wendemanöver. "Leider assoziiert man Vibe Shift im Business-Kontext zunehmend für die Rückkehr zu restriktiveren Normen."
Brandes-Visbeck spricht bildhaft. Denn Sprachbilder bleiben länger in Erinnerung als abstrakte Konzepte. Das wusste schon der Management-Übervater Peter Drucker (1909-2005). Er kreierte die Analogie der tiefhängenden Früchte ("low-hanging fruits") für rasch lösbare Probleme.
Doch oft geht der Schuss nach hinten los. Floskeln gehen zum einen Ohr rein und zum anderen hinaus. Davon ist auch Jens Bergmann überzeugt. Der stellvertretende Chefredakteur des deutschen Magazins "Brand eins" beschäftigt sich leidenschaftlich mit "Business Bullshit", worüber er auch ein Buch geschrieben hat.
Seine These: Wer nebulös kommuniziert, bietet weniger Angriffsfläche. Man kann die eigene Unsicherheit kaschieren. "Bullshit ist konsensfähig", resümiert Bergmann. Denn kaum jemand nimmt sich die Mühe, zu hinterfragen oder zu widersprechen.
Bergmann unterscheidet sechs Kategorien des Blabla-Talks:
Wer nebulös kommuniziert, bietet weniger Angriffsfläche.
Dass Business-Sprache manchmal total entgleist, machte der Telecom-Konzern Pacific Bell vor. 70'000 Angestellte mussten einst Mystiker-Vokabular à la "Justierung" oder "Intentionalität" pauken. Kostenpunkt: USD 40 Millionen, allein anno 1987. Als Resultat verstand bald keiner mehr den anderen. Und die Sitzungen dauerten immer länger. Immerhin verwandelte ein Angestellter seinen Frust zu Kunst. Scott Adams schuf die Büro Cartoon-Serie "Dilbert" - sie ist bis heute beliebt.
Aus diesem Fall zog der Organisationspsychologe André Spicer, Dekan der Bayes Business School, City University of London, eine klare Lehre: "Business Bullshit" verpflichtet sich nicht der Realität, sondern verfolgt allein persönliche oder organisationale Interessen. Wer so spricht, will die Aufmerksamkeit gewinnen und seinen Status inszenieren. "Bullshitter gieren wie Künstler nach Publikum", schreibt Spicer. Aber die Effekthascherei hat einen hohen Preis: Vertrauensverlust.
Als Erster machte der US-Philosoph Harry G. Frankfurt das Wort "Bullshit" salonfähig: 1986 erklärte er Produkte ohne "Verbindung zur Wahrheit" kurzerhand zum "Bullshit". Wie lautet das Gegenmittel? "Eine bullshit-freie Zone wäre produktiver", ist sich Spicer sicher. Dazu braucht es Mut zur inhaltlichen Auseinandersetzung, auch mit streitbaren Themen - und einen offenen Austausch.
"Führungskräfte gewinnen, wenn sie ehrlich, anschaulich und anschlussfähig kommunizieren. Dazu helfen Bilder und Geschichten, die im Alltag andocken. Dies zu tun, bedeutet Respekt vor dem Gegenüber", betont Christiane Brandes-Visbeck.
Am Ende des Tages bleibt der Management Talk eine Art moderne Lingua Franca. Wer auf der Teppichetage Fuss fassen will, kommt nicht darum herum, zumindest den Grundwortschatz zu erlernen. Vielleicht gelingt es dann sogar, einige "low hanging fruits" zu ernten, wenn man das passende Buzzword im richtigen Moment charmant einschleust?