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Unternehmertum

Auf der Suche nach der Resonanz

Trotz digitaler Vernetzung nimmt die Einsamkeit zu - vor allem unter jungen Erwachsenen. Woran liegt das, und was kann man dagegen tun?

Inmitten der Stadt - und doch allein. Einsamkeit beginnt oft dort, wo die Verbindung zur Welt verstummt. © Shutterstock/FotoDuets

Zusammenfassung

  • Einsamkeit trotz Vernetzung: Immer mehr junge Erwachsene fühlen sich einsam - obwohl sie online ständig in Kontakt stehen.
  • Resonanz statt Kontakte: Entscheidend ist nicht, wie viele Menschen man kennt, sondern ob man sich verstanden und verbunden fühlt.
  • Balance zwischen Rückzug und Nähe: Phasen des Alleinseins können kreativ beflügeln - zu viel Isolation hingegen macht krank.
  • Mut zur Begegnung: Echte Resonanz entsteht nur im direkten Austausch - wer über seinen Schatten springt, wird meist belohnt.

Kurzer Selbstcheck: Stellen Sie sich vor, Sie brauchen mitten in der Nacht plötzlich Hilfe oder Rat von Freunden. Wen könnten Sie spontan anrufen, sagen wir um halb drei Uhr? Wenn Ihnen jetzt ein, zwei Namen (oder mehr) einfallen, dürfen Sie sich glücklich schätzen. Dann gehören Sie zu jenen Menschen, die sozial gut eingebunden sind. Heisst: Sie sind nicht einsam oder isoliert - auch wenn Sie vielleicht das Gefühl haben, gerne mehr Follower auf Instagram zu wollen.

Tracey Crouch, ehemalige Ministerin für Sport, Zivilgesellschaft und Einsamkeit, UK
Grossbritannien hatte als erstes eine Einsamkeitsministerin: Tracy Crouch - Symbol dafür, dass Isolation ein öffentliches Thema ist. © The Guardian / Guardian / eyevine / laif

Doch von Instagram einmal abgesehen: Im realen Leben greift bei vielen das Gefühl der Einsamkeit um sich - besonders unter jungen Erwachsenen. Einer aktuellen Online-Umfrage zufolge fühlen sich in Europa 57 % der 18- bis 35-Jährigen "moderat bis stark" einsam. Erstaunlich ist, dass diese Werte einige Zeit nach der Coronapandemie erhoben wurden. Mittlerweile ist schon von einer "Epidemie der Einsamkeit" die Rede, und auch die Politik hat das Problem erkannt: Die erste "Einsamkeitsministerin" wurde 2018 in Grossbritannien ernannt, Japan zog 2021 nach, Deutschland entwarf eine "Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit". Man gewinnt den Eindruck, die modernen Gesellschaften werden zu einer Ansammlung von lauter Einsiedlerkrebsen.

Da wird es höchste Zeit zu fragen: Was steckt hinter der Einsamkeit? Warum leiden so viele darunter, trotz sozialer Medien und permanenter Vernetztheit? Und wie kommt man raus aus der Isolation, wie wendet man die Einsam- in die Zweisam-, Dreisam-, Mehrsamkeit?

Die Antwort beginnt mit der Erkenntnis, dass die Einsamkeit im Wesentlichen eines ist: ein Gefühl. Und das ist höchst subjektiv. Man kann sich inmitten einer grossen Menschenmenge einsam fühlen und umgekehrt alleine in der Wildnis geborgen. Ob man sich isoliert oder zugehörig fühlt, hat nicht in erster Linie mit der Zahl der Kontakte zu tun, sondern eher mit einem Gefühl von Resonanz, wie das der Soziologe Hartmut Rosa nennt: mit dem Erleben einer Verbindung zwischen sich und anderen - mit Menschen, Tieren, Pflanzen, der Natur...

Hartmut Rosa, Washington-based strategic thinker
"Resonanz" nennt der Soziologe Hartmut Rosa das Gegenmittel zur Vereinsamung - jenes Gefühl, wenn etwas oder jemand wirklich antwortet. © Wikipedia/Stifterverband/YouTube

Denn was die Spezies Mensch auszeichnet, ist ihr sozialer Sinn, die Fähigkeit, Kontakt aufzunehmen, sich in andere hineinzuversetzen. "Und am beglückendsten ist es, wenn wir das Gefühl haben: Da antwortet mir etwas, wir schwingen sozusagen auf derselben Wellenlänge", sagt Hartmut Rosa. In solchen Momenten erlebe man eine Art "Widerhall der Welt" und ein starkes Gefühl von Lebendigkeit.

Wenn dagegen nichts "schwingt", fühlt sich jede Situation leer an - selbst eine belebte Party. Ohne Resonanz entsteht schnell das Gefühl, fehl am Platze zu sein, im falschen Film. Die Sache lässt einen kalt, auch wenn man von vielen Menschen umgeben ist.

Deshalb lässt sich die Einsamkeit nur schwer wissenschaftlich messen. Denn das Gefühl der Resonanz ist etwas sehr Subjektives, Persönliches. Das zeigt auch die Definition des Begriffs Einsamkeit, die üblicherweise als "Differenz zwischen den sozialen Kontakten, die man hat, und denen, die man gern hätte" beschrieben wird. Demnach kann selbst jemand mit hundert Freunden einsam sein - wenn er nämlich gern zweihundert hätte.

Ohne Resonanz entsteht schnell das Gefühl, fehl am Platze zu sein.

Viele Forschende misstrauen daher der angeblichen "Epidemie der Einsamkeit". Dafür fehlen nicht nur objektive Masszahlen, sondern auch historische Zeitreihen, die eine Zunahme der Einsamkeit gegenüber früher belegen könnten.

Was bei den Klagen über Einsamkeit häufig ebenso untergeht, ist die Tatsache, dass ein gewisses Mass an Einsamkeit zum menschlichen Leben untrennbar dazugehört. In vielen Lebensläufen gibt es vor allem am Ende der Schulzeit und beim Übergang in Ausbildung und Beruf mehr oder weniger lange Phasen der Einsamkeit - zum Beispiel, wenn man mit Anfang 20 zum Studieren in eine andere Stadt zieht, in der man zunächst einmal fremd ist.

Und solche Phasen müssen nicht nur schlecht sein: Wer auf sich selbst gestellt ist, kann ungestört kreativ werden, seine eigene Stimme finden und - ohne ständiges Vergleichen mit anderen - eigene Ideen ausbrüten.

An diesem Teich suchte Henry David Thoreau - Schriftsteller, Naturphilosoph, Aussteiger - die Essenz des Lebens: Was bleibt, wenn alles Überflüssige schweigt. © KEYSTONE/akg-images

Die Geschichte der Kunst, Literatur, Philosophie oder Religion ist voller Beispiele dafür, dass Zeiten des Alleinseins ein grosses schöpferisches Potenzial haben. Jesus ging 40 Tage in die Wüste, um spirituelle Klarheit zu erlangen; der Schriftsteller Henry David Thoreau zog sich in eine Blockhütte im Wald zurück, um "dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten", Virginia Woolf pries den Rückzugsraum eines eigenen Zimmers, in dem sie sich ungestört von der Aussenwelt entfalten könne; der Physiker Isaac Newton hatte seine besten Ideen, als seine Universität wegen Pest geschlossen war und er alleine auf seinem Gutssitz nachdenken konnte; und selbst ein moderner Intellektueller wie der Bestsellerautor Yuval Noah Harari verschwindet jedes Jahr für mehrere Wochen in der Stille eines Meditationsretreats, um wieder klar denken zu können.

Permanenter Gruppendruck ist also für die eigene Entwicklung ebenso wenig förderlich wie dauerhaftes Alleinsein. Die Kunst liegt in der klugen Balance: Es braucht den Austausch mit anderen ebenso wie die Zeit, die Impulse von aussen in Ruhe verarbeiten und umsetzen zu können.

Wenn diese Balance kippt, leidet entweder die Schaffenskraft - oder die Gesundheit. Denn unfreiwillige Einsamkeit schlägt nicht nur aufs Gemüt, sondern hat auch nachweisbare körperliche Folgen. Wer sich einsam fühlt, hat eine höhere Neigung zu Bluthochdruck, Immunschwäche, Demenz und Depressionen; ausserdem haben einsame Menschen ein grösseres Risiko, früher zu sterben. Wenn das belebende Gefühl der Resonanz fehlt, dann schwindet auch der Antrieb zum Leben, fühlt sich das eigene Dasein leer und sinnlos an.

Dabei müsste heute die Einsamkeit eigentlich passé sein, leben wir doch in einer Zeit, die vor allem von Vernetzung und sozialen Medien geprägt ist. Selbst im abgeschiedensten Tal gibt es Internet, überall ist man mit dem Weltgeschehen verbunden; und auch für die ausgefallensten Interessen und Vorlieben findet man in entsprechenden Foren und Chatgruppen Verbündete. Warum ist das Gefühl der Einsamkeit unter solchen Bedingungen nicht ausgestorben?

"Bear With Me", ein anonym geschaffenes Werk in Bristol, erinnert daran: Wer den Kontakt zur Welt verliert, sucht Halt im kleinsten Zeichen von Nähe. © Paul Box/Report Digital-REA/laif

Ein Grund scheint paradoxerweise gerade die zunehmende digitale Vernetzung. Diese führt zu einem Rückzug ins Private und damit zu einem Rückgang echter, "analoger" Begegnungen und Sozialkontakte. Statt ins Kino oder ins Theater zu gehen, machen es sich viele lieber zu Hause bei einem Netflix-Abend gemütlich. Auch Restaurants verzeichnen einen signifikanten Rückgang von Besuchern; dafür haben Lieferdienste und das Take-away-Geschäft massiv zugenommen.

Besonders ausgeprägt ist dieser Trend in den USA: Zwischen den Jahren 2003 und 2023 - in denen das Handy und die sozialen Medien ihren Siegeszug feierten - ging die Zeitdauer zwischenmenschlicher Kontakte um durchschnittlich mehr als 20 % zurück, wie der American Time Use Survey ermittelte. Junge Erwachsene unter 25 Jahren wenden sogar 35 Prozent weniger Zeit für Sozialkontakte auf als vor zwanzig Jahren.

Dank der digitalen Angebote kann man heute Meetings von zu Hause aus abhalten, von zu Hause aus einkaufen, essen oder an Gottesdiensten teilnehmen. All die früheren Rituale des Zusammenseins hätten sich "in eine Erfahrung der häuslichen Zurückgezogenheit oder der Einsamkeit verwandelt", kommentiert die Zeitschrift The Atlantic, die vor Kurzem in einem eindringlichen Artikel das "antisoziale Jahrhundert" ausrief.

Stets verbunden, selten berührt: Die digitale Nähe ersetzt das Echo echter Begegnung nicht. © unsplash/Getty Images

Dabei geht der Rückzug ins eigene Heim tendenziell mit einer Abnahme von Glücksgefühlen und einer geringeren Erfahrung von Sinnhaftigkeit einher, wie Studien zeigen. Denn als soziales Wesen lebt der Mensch nun einmal von der Resonanz mit anderen - und die fällt vor dem Bildschirm schwerer als in echter Gesellschaft.

Zugegeben: Jede menschliche Begegnung birgt auch ein Risiko. Mitunter erweist sie sich als anstrengend, nervend oder irritierend. Da kann es zunächst sicherer und entspannter erscheinen, zu Hause zu bleiben und sich nur digital zu begegnen. Doch auf Dauer fördert gerade dieses Sicherheits- und Bequemlichkeitsdenken die Einsamkeit, unter der heute so viele leiden. Und es führt in einen Teufelskreis: Wer sich unsicher und einsam fühlt, zieht sich eher zurück, was dazu führt, dass sich die Einsamkeit noch verstärkt...

Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, muss man bewusst gegen die Bequemlichkeit angehen: Kontakt suchen, statt sich zurückzuziehen. Natürlich gibt es dafür längst entsprechende Apps: So hilft etwa "Timeleft", sich mit Unbekannten zum Abendessen zu verabreden, bei "The Breakfast" trifft man sich morgens auf einen Kaffee mit einem Fremden, After 5 bringt speziell Frauen zusammen.

Dass es allerdings auch ohne App geht, haben vor einigen Jahren die Psychologen Nick Epley und Juliana Schroeder von der University of Chicago demonstriert. In einem Experiment baten sie Pendler, die regelmässig mit dem Zug zur Arbeit fuhren, fremde Mitreisende im Zug anzusprechen. Alle Teilnehmer zeigten dagegen erst einmal grosse Widerstände und wollten lieber für sich bleiben. Aber wenn sie sich dann überwanden, erhielten sie in fast allen Fällen eine positive Reaktion und fühlten sich deutlich besser.

Noch gibt es sie, die Inseln echter Nähe - wenn das Gespräch wichtiger wird als das Smartphone und Resonanz ganz selbstverständlich entsteht. © unsplash/Getty Images

Epley/Schroeder ziehen daraus einen grundlegenden Schluss: Wir alle seien in hohem Masse sozial, und es gehe uns "in jeder Hinsicht besser, wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind". Und doch hätten wir oft Angst, auf andere zuzugehen, und würden manchmal Kontakte sogar aktiv ablehnen. "Das ist ein schrecklicher Fehler", sagt Epley.

Sein Experiment zeigt, dass es sich lohnt, sich und anderen öfter eine Chance zu geben.

Der Autor
25_530_Ulrich Schnabel - de
Ulrich Schnabel, Gastautor

Ulrich Schnabel ist Physiker, Autor und seit über 30 Jahren Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung Die Zeit. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, seine Bücher wurden Bestseller. Zuletzt erschien von ihm: "Zusammen. Wie wir mit Gemeinsinn globale Krisen bewältigen" im Aufbau Verlag.

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