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Unternehmertum

Eine praktische Anleitung, um aus dem Leben das Beste zu machen

Eine karrierefixierte Jagd nach Zielen ist verschwendete Lebenszeit, sagt die ehemalige Tech-Unternehmerin und heutige Neurowissenschaftlerin Anne-Laure Le Cunff. In ihrem Bestseller "Tiny Experiments: How to Live Freely in a Goal-Obsessed World" rät sie, aus dem Hamsterrad auszusteigen und die Ungewissheit anzunehmen.

Dr Anne-Laure Le Cunff, Gründerin und Neurowissenschaftlerin, Ness Labs und Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience, King’s Collage London
Anne-Laure Le Cunff, Neurowissenschaftlerin und Autorin von "Tiny Experiments", setzt sich für neugiergetriebene Karrieren und achtsame Produktivität ein. © Anne-Laure Le Cunff

Zusammenfassung

  • Die Neurowissenschaftlerin plädiert dafür, starre, zielgetriebene Karrieren hinter sich zu lassen und Neugier sowie Unsicherheit zuzulassen.
  • Kleine Experimente stellen das Lernen in den Mittelpunkt, nicht feste Ergebnisse.
  • Werkzeuge wie "Pakte" und "Plus-Minus-Next" helfen, Fortschritte sichtbar zu machen.
  • Erfolg bemisst sich auch an inneren Signalen wie Freude und Wohlbefinden, nicht nur an äusseren Erfolgen.

Anne-Laure Le Cunff, Sie sind nach San Francisco gezogen und haben bei Google schnell Karriere gemacht, bis hin zur globalen Leitung von Projekten im Bereich digitale Gesundheit. Doch mit 27 Jahren haben Sie alles hingeworfen. Warum?

Von Paris ins Silicon Valley zu kommen, fühlte sich an, als sei ich an einem ganz besonderen Ort, wo alles extrem schnell passierte. Ich fühlte mich privilegiert und lernte unglaublich viel in kurzer Zeit. Gleichzeitig war die Definition von Erfolg im Valley aber bereits sehr klar festgelegt. Es war, als läge eine perfekt durchgeplante Laufbahn vor mir - und ich verlor das Interesse. Es gab keinen Raum für Fragen, keinen offenen Weg, wohin ich als Nächstes gehen oder was ich ausprobieren wollte.

Sogar Ihre Mutter war schockiert über Ihre Kündigung. Die meisten hätten gesagt: Sie haben es geschafft, der Karrierepfad ist klar. Doch Sie behaupten in Ihrem Buch, es gäbe einen anderen Weg. Können Sie den beschreiben?

Der traditionelle Weg folgt einer linearen Definition von Erfolg: man durchläuft bestimmte Schritte in fester Reihenfolge, meistens mit Gatekeepern, die entscheiden, wann man die nächste Sprosse der Karriereleiter erklimmen darf. Die Alternative ist ein experimenteller Ansatz, bei dem man seiner Neugier folgt, um herauszufinden, womit man sich beschäftigen und was man erforschen möchte. Anstatt sich an die Illusion zu klammern, genau zu wissen, wohin man geht, nimmt man die Unsicherheit und den Entdeckungsprozess an. So entsteht eine Laufbahn, die einzigartig ist - statt ein kopiertes Erfolgsmodell anderer.

Der Neugier in alltäglichen Entdeckungen nachspüren - ein Prinzip, das auch Anne-Laures "Tiny Experiments" prägt. © Anne-Laure Le Cunff

Und wenn ich ein typischer Manager bin und mich gar nicht als besonders kreativ sehe - wie fange ich an zu experimentieren?

Nehmen wir eine Person in einem Unternehmen, die einen Newsletter starten möchte. Nach dem klassischen Zielansatz würde man sagen: "Wir starten diesen Newsletter und wollen bis Jahresende 20 000 Abonnenten." Das ist ein lineares Ziel, das auf einem festen Ergebnis beruht und Erfolg oder Scheitern binär definiert. Mit dem experimentellen Ansatz würde man stattdessen ein kleines Experiment entwerfen: zum Beispiel jede Woche einen Newsletter bis Jahresende schreiben - mit dem Ziel, dabei möglichst viel zu lernen. Man legt nicht fest, wie viele Abonnenten erreicht werden, weil man gar nicht weiss, was funktioniert und was nicht.

Klingt das nicht extrem vage?

Nein. Man nähert sich der Herausforderung wie eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler. Wenn ein Experiment startet, kennt man das Ergebnis nicht. Das Ziel ist allein, etwas Neues zu lernen. Ein kleines Experiment schafft einen Spielraum oder eine Sandbox, in der man eigene Daten sammelt und reflektiert, was funktioniert hat und was nicht. 

Kleine Pakte und Experimente gestalten - mit wissenschaftlicher Neugier den Alltag erkunden. © Anne-Laure Le Cunff

Sie raten dazu, mit einem "Pakt" zu beginnen. Was ist das?

Ein Pakt ist ein Mini-Protokoll für Experimente - eine Verpflichtung zur Neugier. Ganz einfach: "Ich werde [Aktion einsetzen] für [Dauer einsetzen]." Darin stecken dieselben Zutaten wie in einem wissenschaftlichen Experiment: Was wird getestet, und wie oft. Pakte funktionieren im Beruf, aber auch in allen anderen Lebensbereichen.

Es ist eine Verpflichtung zur Neugier

Beispiel: Man hat noch nie meditiert, ist aber neugierig. Dann könnte man sagen: "Ich werde zwei Wochen lang jeden Morgen meditieren" - und schauen, was passiert. Oder: "Ich werde drei Wochen lang jeden Mittag spazieren gehen" und die Wirkung beobachten.

Wissenschaftler führen genaue Protokolle. Muss man das auch bei persönlichen Experimenten?

Wichtig ist, dass man sich verpflichtet, Daten zu sammeln und mit dem Urteil bis zum Ende wartet - so wie Wissenschaftler ihre Daten nicht mitten im Experiment bewerten. Erst am Schluss fragt man sich: "Hat mir das gefallen? Welche Wirkung hatte es? Habe ich besser geschlafen, mich wohler gefühlt, weniger Stress gehabt?"

Aber Experimente brauchen Zeit. Wie soll das gehen, wenn man ohnehin gestresst ist?

Genau deshalb heissen sie Tiny Experiments, also kleine Experimente. Sie sind sehr, sehr klein. Es bringt nichts, sich zu viel vorzunehmen, nach einer Woche überfordert zu sein und aufzuhören. Man kann Experimente schon über fünf Tage machen. Und sie kosten nicht zwingend mehr Zeit - oft verändert man nur etwas minimal im Alltag, zum Beispiel wie man Meetings führt.

Angenommen, ich halte meinen Pakt ein und urteile nicht vorab. Eine Woche später werte ich aus. Was dann?

© Anne-Laure Le Cunff

Das hängt von der Länge ab. Im Buch stelle ich ein einfaches Werkzeug vor: "Plus-Minus-Next". Drei Spalten: Plus für alles, was gut lief; Minus für das, was nicht gut lief; Next für das, was man beim nächsten Mal anpassen möchte. 

So entstehen Wachstumszyklen: egal wie das Experiment verlaufen ist, man lernt daraus und kann die Erkenntnisse direkt in die nächste Runde übertragen. Für grössere Entscheidungen empfehle ich ein Steuerungsblatt, das sowohl innere als auch äussere Erfolgssignale berücksichtigt. 

Wie unterscheiden sich diese beiden Methoden?

Das Steuerungsblatt fördert Metakognition - die Fähigkeit, unsere eigenen Gedanken, Verhaltensweisen und Gefühle zu beobachten und zu reflektieren. Äussere Erfolgssignale sehen wir meist sehr gut: Umsatz, Abonnentenzahlen, messbare Ergebnisse. Innere Signale übersehen wir oft: Wie hat es sich angefühlt? Wenn ein Projekt zwar viel Geld eingebracht hat, man es aber gehasst hat - ist das wirklich ein Erfolg, und möchte man ihn wiederholen? Wohl kaum.

Sie argumentieren überzeugend, dass ein linearer Weg nicht der einzige ist. Aber was ergibt am Ende eine lange Reihe kleiner Experimente? Wollen Menschen nicht ein Vermächtnis, eine grosse Leistung hinterlassen?

Es ist ein Irrtum zu glauben, es müsse immer auf etwas Grosses hinauslaufen. Wir sind besessen von der Idee, ein Vermächtnis zu schaffen. Wichtiger ist jedoch die Generativität: also der unmittelbare Einfluss auf die Menschen um uns herum. Kleine Experimente ermöglichen es, im Kleinen sofort Dinge zu verändern, statt sich an einer "grossen Idee" abzuarbeiten, über die vielleicht in 300 Jahren gesprochen wird. 

Durch ständige Zyklen des Ausprobierens und Wachsens entsteht viel bedeutsamer Wandel - und zwar im Hier und Jetzt, in der eigenen Gemeinschaft, und zu Lebzeiten. 

Wachstumszyklen schaffen

Einen kleinen Pakt schliessen:
"Ich werde [Aktion einsetzen] für [Dauer einsetzen]."

Am Ende auswerten:

  • Plus - was hat funktioniert
  • Minus - was hat nicht funktioniert
  • Next - was möchte ich ändern

Mit einem Steuerungsblatt vertiefen:

  • Äussere Signale notieren: Fakten, Kontext, praktische Grenzen
  • Innere Signale notieren: Emotionen, Motivation, mentale Zustände
  • Auf dieser Basis entscheiden: weitermachen, pausieren oder Kurs ändern

Zur Person

Dr. Anne-Laure Le Cunff, Gründerin und Neurowissenschaftlerin, Ness Labs und Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience, King’s Collage London
© Anne-Laure Le Cunff

Dr. Anne-Laure Le Cunff ist Gründerin von Ness Labs und Neurowissenschaftlerin am Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience, King’s Collage London. Le Cunff tauschte die Tech-Welt gegen die Erforschung von mentaler Gesundheit, Kreativität und Produktivität aus neurowissenschaftlicher Perspektive ein. Sie gründete Ness Labs, eine Plattform und Community für "mindful productivity", die sich mit persönlicher Entwicklung und nachhaltigen Arbeitsweisen beschäftigt. Zudem ist sie Autorin von "Tiny Experiments: How to Live Freely in a Goal-Obsessed World", das 2025 erschienen ist. 

 

Der Autor
Steffan Heuer, Gastautor

Steffan Heuer befasst sich seit mehr als drei Jahrzehnten mit der Schnittstelle von Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft. Er pendelt zwischen der amerikanischen Westküste und Berlin. 

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