Finanzwissen

Was passiert, wenn ein Unternehmen aus einem Aktienindex fliegt?

Tesla ist es jüngst passiert, der Lufthansa während der Corona-Krise: der Rauswurf aus einem Aktienindex. Geht es dabei nur ums Image oder auch ums Geld?

Datum
Autor
Tilmann Schaal, LGT
Lesezeit
5 Minuten
Tesla

Ob schlechte Arbeitsbedingungen oder «Greenwashing», negative Schlagzeilen rund um Tesla gibt es immer wieder. Ob aus Neid oder berechtigter Kritik – die Vorhaltungen schienen am E-Autobauer einfach abzuperlen.

Vor einigen Tagen warfen die Macher des Aktienindex Standard & Poors 500 ESG das US-Unternehmen aus dem Index. Sie begründeten den Schritt in einem Blog, wonach andere Firmen in Sachen ESG deutlich aufgeholt hätten und Tesla teils überflügelten. Folglich flog das kalifornische Unternehmen aus dem Index. Die Reaktion von Firmengründer Elon Musk war prompt und deutlich: Er schäumte vor Wut, natürlich auf Twitter.

Rauswurf mit Konsequenzen: Wenn Unternehmen nicht mehr in einem Index gelistet sind

Elon Musk
Laut Standard & Poors haben andere Firmen Elon Musks Tesla in Sachen ESG teils überflügelt. © Keystone/AP Photo/Susan Walsh

Tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass die Aktien von Unternehmen aus Aktienindizes entfernt werden. Pfizer wurde zum Beispiel ab August 2020 nicht mehr im Dow Jones gelistet. Wenige Monate zuvor musste die Lufthansa den deutschen Leitindex DAX verlassen.

Doch welche wirtschaftlichen Konsequenzen hat das für eine Firma – und was bedeutet es für die Anleger, die im Unternehmen investiert sind? Darüber sprechen wir mit David Wolf, Head Research Content & Publications, LGT Private Banking Europe. 

Frage: Wenn es ein börsennotiertes Unternehmen in einen Aktienindex geschafft hat, dann ist das doch erst einmal ein Erfolg; schliesslich hat es in einem Bereich oder in einem bestimmten Markt oder Land eine gewisse Grösse oder Bedeutung erreicht?

Definitiv darf man das als Erfolg verbuchen. Entsprechend werden solche Neuaufnahmen auch gerne öffentlichkeitswirksam gefeiert. Die Signalwirkung in die Welt und an die Finanzmärkte ist gross. Für gewisse Nischenfirmen mag es gar das erste Mal sein, dass sie breite mediale Aufmerksamkeit bekommen. Das Unternehmen hat eine gewisse Wichtigkeit, Bilanzgrösse und Stabilität erreicht. Wobei das Aufnahmeverfahren bei jedem Index unterschiedlich ist und andere Kriterien aufweist.

Frage: Ist die Aufnahme in einen Aktienindex insofern für Firmen, die an der Börse notiert sind, immer auch ein grosser Imagegewinn? 

Ja. Image und Prestige spielen dabei immer eine Rolle und haben auch einen realen Gegenwert. Diese symbolische Bestätigung für die Firma, von aussen als profitabel und erfolgreich wahrgenommen zu werden, bringt ein besseres Ansehen und mehr Aufmerksamkeit. Das hat handfeste Vorteile: Das Unternehmen kommt vermehrt in den Fokus von Anlegern und Analysten und geniesst in der Folge eine breitere Investorenbasis. 

Stein des Anstosses: ESG-Kriterien

Der Grund für den Ausschluss von Tesla aus dem Aktienindex von Standard & Poors war ein schlechtes ESG Scoring im Vergleich zu konkurrierenden Unternehmen. Die Rating-Agentur bewertet Teslas Performance in Bezug auf ökologische, soziale und Governance-Faktoren nun schlechter.

Frage: Die Tesla-Aktie verlor nach dem Bekanntwerden des Ausschlusses aus dem S&P 500 ESG spürbar an Wert. Das heisst, über Image und Publizität hinaus gibt es auch andere handfeste finanzielle Konsequenzen? Welche sind das?

Einer der stärksten Effekte bei einer Indexaufnahme entsteht durch die Investitionen der Indexfonds respektive ETFs. Sie kaufen alle Werte im Index und treiben so den Aktienkurs eines neu in den Index eintretenden Unternehmens nach oben. 

Das Gegenteil passiert bei einer Entfernung aus dem Index: Die Fonds verkaufen den Wert, was den Aktienkurs fallen lässt, zumindest kurzfristig. Das kann je nach Aktie sehr unterschiedlich ausfallen, hat aber sowohl bei Inklusionen, als auch bei Exklusionen einen einmaligen Effekt auf den Aktienpreis. Historisch und im Durchschnitt betrachtet verschwindet dieser Einmaleffekt nach ein paar Monaten wieder und vermag einen Aktienkurs nicht langfristig zu stützen oder zu drücken. 

Im Falle von Tesla hat sich der plötzliche Kursverlust rasch wieder bereinigt. Das mag unter anderem daran liegen, dass sich beim Unternehmen in dem Moment fundamental nichts verändert hat und sie schlicht von anderen Firmen in Sachen ESG-Metriken überholt wurde. 

Es gibt aber auch Aktien, die länger an einem Ausschluss zu kauen hatten. Das hängt stark vom Index selbst, dessen Fokus, Selektionskriterien und der Begründung für den Ausschluss wie auch von der effektiven Firmenentwicklung ab.

Frage: Was bedeutet so ein Index-Ausschluss für den investierten Anleger?

Wie bereits angesprochen: Mittelfristig relativiert sich ein kurzfristiger Preissturz als Folge eines Index-Ausschlusses meistens. Oft sind bestimmte Metriken das Zünglein an der Waage. Das können vergleichsweise schwache ESG-Anstrengungen ebenso sein wie eine langsam sinkende Marktkapitalisierung. 

Standard & Poors, ratings services
Aufnahme in einen Index: «Image und Prestige spielen dabei immer eine Rolle und haben auch einen realen Gegenwert.» © Keystone/EPA/Ian Langsdon

Solange die Firma ein solides Geschäftsmodell hat, starke Fundamentaldaten und eine nachhaltige Finanzierung, sollte weder die Dividendenpolitik noch die mittel- bis langfristige Wertentwicklung negativ beeinflusst werden. Mein persönlicher Eindruck: Wir alle lassen uns gerne vom täglichen Rauschen der Finanzjournaille in den Bann ziehen, aber für den langfristig orientierten Anleger sind solche Ereignisse eigentlich Schall und Rauch. Deswegen: Einfach einen kühlen Kopf bewahren.

Übrigens sind solche Ausschlüsse nichts Seltenes, nur ist meistens das mediale Echo nicht so gross. Alleine bei der Exklusion von Tesla wurden 34 weitere Unternehmen von der Liste des S&P 500 ESG Index gestrichen – darunter nicht nur unbekannte Namen. 

Frage: Sind auch Anleger betroffen, die mittels Index- oder anderem Aktienfonds eine ausgeschlossene Aktie in ihrem Portfolio gehalten hatten?

Ein Fonds ist in der Regel eine über viele Einzelinstrumente diversifizierte Anlage. Der Einfluss von Einzeltiteln sollte dem Anleger deshalb nicht den Schlaf rauben. Indexfonds haben zum Ziel, die Kursentwicklung eines Index so kostengünstig wie möglich abzubilden. Sämtliche Änderungen im Index werden ohne Zutun des Anlegers vollzogen. 

Natürlich sind sie auch betroffen von den Änderungen im Index, da sie von der Preisentwicklung des entfernten Wertes nicht mehr profitieren. Im gleichen Moment können sie aber auch von der Entwicklung der neu aufgenommenen Aktie profitieren. Letztlich muss dem Investor aber vor dem Kauf einer solchen Anlage immer bewusst sein: Die Zusammensetzung kann sich immer ändern, denn das Ziel eines Investments in einen Indexfonds ist eine Diversifikation und eben nicht das Engagement in eine einzelne Firma. 

Eine weniger beachtete Dynamik ist für den Anleger das Klumpenrisiko. Das ist eine Folge der grossen Beliebtheit von Indexfonds und besonders ETFs. Ursprünglich wurden Aktienindizes geschaffen, um den Zustand des Marktes einfach messen zu können, mit einer einzigen Zahl als Messgrösse.

Was ist ein ETF?

ETF ist die Abkürzung des englischen Begriffs "Exchange Traded Fund", also "börsengehandelter Fond". In den allermeisten Fällen wird der Begriff ETF für passiv verwaltete Indexfonds verwendet. Das bedeutet, dass die Zusammensetzung des Fonds nicht von einem Fondmanager aktiv gesteuert wird. Vielmehr bildet ein Indexfond die Zusammensetzung und Entwicklung eines Wertpapierindexes nach.

Die Historie eines Index erlaubt Rückschlüsse auf Reaktionen des Marktes. Das wiederum kann dem Anleger helfen, heutige Anlageentscheide zu treffen. Mit den heutigen Indexfonds investiert der Anleger aber weniger in die Breite des Marktes, sondern konzentriert in die Anlagen des Index – und zwar viel effizienter als zuvor.

Das hat Folgen für das Preisverhalten der im Index enthaltenen Aktien. Durch die grosse Liquidität und gute Handelbarkeit von ETFs zeigen sich die Preise der enthaltenen Aktien deutlich volatiler. Ein Beispiel aus den Zeiten des Börsenkrachs rund um die Coronakrise im Frühjahr 2020 zeigte bei ETFs rekordhohe Handelsvolumen und dabei auch ungewohnt starke Preisausschläge. Aber auch in diesem Falle galt für Anleger Ruhe zu bewahren, denn auch dieser Sturm hat sich wieder gelegt.

Frage: Wenn an den Finanzmärkten künftig wieder ein wenig Ruhe einkehrt, ist dann davon auszugehen, dass es in der Zusammensetzung der Aktienindizes zu weniger Wechseln kommt? 

Für die Beantwortung dieser Frage bräuchte man die beliebte, aber leider im Handel nicht erhältliche Kristallkugel. Die Wechsel passieren je nach Index und Indexanbieter in unterschiedlichen Abständen und Ausmassen. Im Falle des Standard & Poors 500 ESG findet das sogenannte «Rebalancing» vierteljährlich, jeweils zu Beginn des Quartals statt. Nur schon bei diesem Index kann es zahlreiche Ausschlussgründe geben, was sich der Methodologie des Indexes entnehmen lässt. Wer das studiert, erkennt schnell: nur wenige dieser Gründe hängen von der allgemeinen Markt(un)ruhe ab.

Die Anforderungen der Index-Anbieter sind übrigens nicht in Stein gemeisselt, sondern verändern sich mit der Zeit. 2017 kam beispielsweise die Diskussion um die zunehmende Wichtigkeit der «Corporate Governance» auf. Diverse Indexanbieter reagierten, indem sie keine Unternehmen mehr aufnehmen, die gewisse Aktionäre von ihrem Stimmrecht ausschliessen. Auch daran erkennt man: Wechsel in der Zusammenstellung der Indizes werden auch in Zukunft nichts Weltbewegendes sein. Schlussendlich sind sie nur eine Abbildung des Marktes.

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