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Market View & Insights
Regionen, aus denen man bislang keine Spitzenweine kannte, erarbeiten sich einen Platz auf Europas Weinkarte - so manches bekannte Weinbaugebiet hat indes zu kämpfen. Wird Südengland das neue Burgund? Master of Wine Robin Kick ordnet ein.
Der Klimawandel stellt die Landwirtschaft und Weinproduktion vor grosse Herausforderungen. Bei grosser Hitze und Trockenheit schaltet ein Rebstock in eine Art "Notfallmodus" um und konzentriert sich ganz auf sich selbst. So sichert er zwar sein Überleben, aber er bringt keine Trauben mehr hervor. Bei übermässigem Regen und hoher Luftfeuchtigkeit hingegen muss sich der Rebstock gegen Pilzkrankheiten wehren, die Blätter, Triebe und Früchte schädigen können. Ausserdem führen wärmere Temperaturen oft zu einem höheren Reifegrad der Trauben, was wiederum einen höheren Alkoholgehalt, einen niedrigeren Säuregehalt und einen hohen pH-Wert zur Folge hat. Das macht den Wein anfällig für Bakterien- und Hefepilzbefall, und die Weine geraten in Gefahr, ihre Ausgewogenheit zu verlieren.
Sind die Aussichten also überall schlecht? Keineswegs. Wärmere Temperaturen und geringere Niederschläge sind bestimmten Weinbaugebieten, etwa in Grossbritannien, sogar zugutegekommen. Der warme Golfstrom hat schon immer einen Einfluss gehabt, Weinbau und Weinherstellung lassen sich auch auf diesen Inseln mindestens bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen. Doch das traditionell kühlere Klima Englands machte es schwer, Qualitätsweine zu erzeugen. In den letzten 20 Jahren hat sich jedoch ein bemerkenswerter Wandel vollzogen.
In den 1980er Jahren gab es in England 300 bis 400 registrierte Weinberge. Heute sind es über 1000, wobei deren Zahl allein in den letzten sechs Jahren um 8 % gestiegen ist. Im Jahr 2023 gab es in England 221 Kellereien, vor allem in den südlichen, klimatisch gemässigten Grafschaften Kent ("Der Garten von England"), Sussex und Essex, aber auch in Hampshire, Surrey, Dorset und Devon.
Die südlichen Grafschaften Englands profitieren nicht nur von den wärmeren Temperaturen. Ein Grossteil der Anbaufläche in Kent besteht beispielsweise aus stark kalkhaltigen Kreideböden, ähnlich wie in der Region Côte des Blancs in der Champagne, südlich von Épernay. Ausserdem ist Dorset für seine fossilreichen Lehmböden aus der mittleren Oberjura-Zeit (dem "Kimmeridgium") bekannt, die denen im französischen Chablis ähneln. Die Bodenart wurde sogar nach der Stadt Kimmeridge in Dorset benannt.
Diese kalk- und tonhaltigen Böden gewährleisten die für den Anbau von Qualitätsreben erforderliche hervorragende Drainage. Sie eignen sich auch gut für die Rebsorten Chardonnay, Pinot Noir und Meunier, die auch in der Champagne zu den wichtigsten Sorten zählen. Angesichts der Dominanz dieser Rebsorten und des kühleren Klimas war es logisch, Schaum- und Perlweine zu erzeugen. Sie machen heute rund 75 % der britischen Weinproduktion aus.
Aber auch die Stillweine aus Grossbritannien profitieren nun von der zusätzlichen Sonne und Wärme - womöglich sogar noch mehr, da für diese oft eine höhere Reife erforderlich ist. Die englische Weinanbaufläche beträgt derzeit rund 4400 Hektar, und sie wächst weiter. Aufgrund der höheren Qualität der Weine - verbesserte Weinanbau-Bedingungen und zunehmendes "Savoir-faire" sei Dank - rechnet der nationale Verband für die englische und walisische Weinindustrie WineGB damit, dass die Weinproduktion bis 2032 auf rund 24.7 Millionen Flaschen ansteigen wird, was einem Anstieg um 100 % gegenüber 2022 entspricht. Diese enorme Entwicklung hat einige dazu bewegt, Grossbritannien als "die am schnellsten wachsende Weinregion der Welt" zu bezeichnen.
Aber nicht nur England profitiert in dieser Hinsicht von den klimatischen Veränderungen. Heute gibt es sogar in Schottland eine Handvoll Weingüter - sowie in den zu Teilen von Schweden, Norwegen und Finnland. Das hätte man vor nur 30 Jahren für gänzlich unmöglich gehalten.
Mehr über die Entwicklung des Weinbaus in Grossbritannien erfahren Sie auf der Website von Wines of Great Britain.
Das Leben mit mehr Wärme ist jedoch nicht für alle so prickelnd. Besonders für die legendäre Region Burgund sind diese Veränderungen eine Herausforderung. Pinot Noir und Chardonnay sind die autochthonen Rebsorten dieser Region, die in dem kühleren Klima und auf den mineralreichen Ton-Kalk-Böden gedeihen. Doch der Pinot Noir ist bekanntermassen empfindlich und schwierig anzubauen, da seine dünne Schale anfällig für Sonnenbrand und Fäulnis ist. Der Chardonnay hat mit Trockenheit zu kämpfen, und die rekordhohen Temperaturen haben es den Winzerinnen und Winzern bei den Jahrgängen 2018, 2019, 2020, 2022 und 2023 schwer gemacht, erstklassige Weine zu produzieren.
Die Weine aus dem Burgund sind für ihre Frische, Ausgewogenheit, Finesse und ihre vom Terroir geprägten Charaktere bekannt. Die Weine können so magisch sein, dass viele Regionen auf der ganzen Welt versucht haben, ihre ätherische Strahlkraft zu imitieren. Doch in den letzten 15 Jahren wurde viel darüber diskutiert, ob die Region weiterhin erfolgreich die - wie viele meinen - begehrtesten (und teuersten) Weine der Welt erzeugen kann.
Und Burgund ist bei solchen Fragen nicht allein. Selbst Regionen in Süditalien und Spanien, in denen es traditionell sehr heiss ist und wo oft besonders robuste, dickschalige Trauben angebaut werden, haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Im Gegensatz zu Gebieten in der Neuen Welt, wo sie wie beispielsweise in Kalifornien frei bewässert werden können (soweit das Wasser dafür vorhanden ist), werden die Reben in weiten Teilen Europas in der Regel trocken angebaut. Aufgrund der Hitze und des potenziellen Wassermangels können die Trauben gerade in südlichen Regionen recht klein ausfallen, was zu extrem niedrigen Erträgen führt - und nicht nur gehaltvolle, alkoholreiche Weine hervorbringt, sondern auch finanzielle Probleme verursacht.
Allerdings waren nicht alle Jahrgänge von warmen und möglicherweise trockenen Wachstumsperioden betroffen. Der Klimawandel hat auch zu einem unbeständigeren Wetter mit heftigen Hagelstürmen, Frühjahrsfrösten, übermässigem Regen und ungewöhnlich kühlem Wetter geführt. Diese Entwicklungen sind nicht nur im Burgund, sondern in ganz Europa zu spüren. Jahrgänge wie 2021 und 2024 erlebten historische Verwüstungen durch Frost, der je nach Weinberg 90 bis 100 % der Ernten vernichtete.
Zum Glück gibt es Hoffnung: Um diesen Herausforderungen zu begegnen, hat sich in den letzten zehn Jahren der Weinbau verändert, im Burgund und darüber hinaus.
So werden beispielsweise die Spaliere allmählich höher gezogen - bis zu zwei Metern gegenüber der traditionellen Höhe von bis zu 1,2 Metern. Einige Winzerinnen und Winzer flechten die Blätter und Triebe im oberen Bereich der Kronen sogar zu einer Art Zopf (Tressage), statt sie zurückzuschneiden. Diese Praktiken schützen die Rebe vor Stress und beschatten gleichzeitig die Früchte. So wird Sonnenbrand auf den Trauben vermieden. Der Anbau der Früchte in etwas grösserer Höhe trägt auch dazu bei, Frostschäden zu vermeiden, da kalte, feuchte Luft eher in Bodennähe bleibt. Manche Produzenten behaupten, dass Wein aus dieser Art des Anbaus hellere Aromen und feinere Tannine aufweisen.
Einige Winzerinnen und Winzer sind sogar dazu übergegangen, ihre Rebstöcke an einzelnen Pfählen zu befestigen, wie es an den Steilhängen im deutschen Moseltal für Riesling oder an der Côte Rôtie für Syrah üblich ist. Im Burgund werden die Rebstöcke traditionell an Drahtreihen gezogen, wodurch dichte, wie eine Mauer wirkende Strukturen entstehen, die Feuchtigkeit einschliessen und Luftzüge blockieren. Wenn jedoch einzelne Rebstöcke auf Pfählen angebaut werden, kann die Luft frei hindurchströmen, was zu einer natürlichen Belüftung und Abkühlung führt.
Obwohl die biologisch-dynamische Methode im Burgund erst in den 1990er Jahren eingeführt wurde, folgen immer mehr Produzenten diesem ursprünglich vom österreichischen Philosophen Rudolf Steiner in den 1920er Jahren entwickelten landwirtschaftlichen Konzept. Viele haben festgestellt, dass die Behandlung mit dynamisierten Kräutertees, Kieselsäure und anderen biodynamischen Verfahren im Weinberg die Reben auf natürliche Weise widerstandsfähiger gegen alle Unbilden der Natur gemacht hat.
In den Regionen ausserhalb Burgunds, in denen die Bezeichnungsvorschriften lockerer sind, haben einige Erzeuger PIWI-Sorten gepflanzt. PIWI ist eine Abkürzung für "Pilzwiderstandsfähige Rebsorten". PIWI-Sorten gibt es bereits seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, aber sie wurden in den letzten 20 Jahren mit dem wachsenden Umweltbewusstsein der Winzerinnen und Winzer schrittweise weiterentwickelt.
Mit dem Temperaturanstieg steigt auch die potenzielle Gefahr von Pilzproblemen. Da die PIWI-Sorten von Natur aus pilzresistent sind, benötigen sie während der Vegetationsperiode weniger Pflegemassnahmen. Einige Erzeuger geben an, dass nur zwei Behandlungen erforderlich sind, während es bei etablierten Rebsorten acht oder mehr sein können.
Länder wie Deutschland, die Schweiz, Österreich, Liechtenstein, England und Kanada waren in der Vergangenheit aufgeschlossener gegenüber Experimenten mit PIWI-Sorten. Aber auch andere, konservativere Länder wie Frankreich haben sich auf den Weg gemacht. Die Champagne ist wohl die am stärksten regulierte und strengste Weinbauregion der Welt. Dennoch erlaubten die örtlichen Behörden im Jahr 2021 in ihren Verschnitten die Beimischung von 5 % Voltis, der ersten (und einzigen) PIWI-Sorte der Region.
Einige Randgebiete profitieren in mancher Hinsicht vom Klimawandel, während für viele andere die Umweltveränderungen eine ganze Reihe neuer Herausforderungen mit sich bringen. Angesichts des sich Klimawandels kann die Anpassungsfähigkeit der Winzerinnen und Winzer letztlich nicht nur über das Gedeihen der Reben entscheiden, sondern auch über ihr eigenes wirtschaftliches Überleben.