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Unternehmertum

Wenn Muskelkraft auf Köpfchen trifft

Der Wettlauf um die Ausrüstung von Robotern mit künstlicher Intelligenz ist in vollem Gang.

C3PO, r2d2, Star Wars
Wenn leistungsstarke und gleichzeitig wendige Maschinen bessere "Gehirne" bekommen, könnten sie bald Seite an Seite mit Menschen arbeiten - wie r2d2 und C3PO in George Lucas' Star Wars Filmen. © Guillaume Herbaut/Le Figaro Magazine/laif

Zusammenfassung

  • LLMs verleihen Robotern Alltagsverstand: Dank grosser Sprachmodelle können Maschinen bald nicht nur in Fabriken, sondern auch in Wohnungen, Kliniken und Pflegeheimen arbeiten – oft als humanoide Helfer.
  • Milliarden-Rennen der Branchengrössen: Nvidia, Alphabet, Amazon, Tesla und über 160 Start-ups drängen in den Markt; China, Japan, USA, Korea und Deutschland nutzen 80 % der Industrieroboter.
  • Software treibt, Technik hinkt: LLM-gestützter Code, Simulation und Video-Learning beschleunigen das Training, doch autonome Mobilität, Feinmotorik und Cybersicherheit bleiben offene Baustellen.
  • Chancen vs. Kostenfrage: Cobots wachsen zweistellig, Pflege alternder Gesellschaften gilt als nächster Megamarkt – flächendeckender Einsatz scheitert noch an zu hohen Stückkosten.

Sie schweissen und lackieren Autoteile, sie heben schwere Kisten und Paletten, kommissionieren und verpacken Waren in Lagerhallen, sie erkunden gefährliches Gelände und liefern Medikamente aus der Luft. Roboter -also automatisierte Hardware, die greifen, sich bewegen, kriechen, hüpfen oder sogar fliegen kann -sind längst fester Bestandteil unserer Wirtschaft. Doch bislang stösst ihre Leistungsfähigkeit vor allem dort an Grenzen, wo es darum geht, die Umgebung wahrzunehmen, zu verstehen und mit ihr zu interagieren.

LLMs erweitern die Fähigkeiten von Robotern

Bis jetzt. Der rasante Aufstieg von Systemen der Künstlichen Intelligenz, insbesondere grosser Sprachmodelle (Large Language Models, LLM), erweitert die Fähigkeiten von Robotern und die Erwartungen ihrer menschlichen Bedienerinnen und Bediener. Wenn leistungsstarke und gleichzeitig wendige Maschinen bessere "Gehirne" bekommen und schneller von ihrer Umgebung lernen können, argumentieren Experten, eröffnen sich neue Einsatzfelder - im Haushalt, an der Werkbank, in Pflegeeinrichtungen oder sogar in Krankenhäusern. Humanoide Zweibeiner oder mehrbeinige, tierähnliche Geschöpfe könnten bald Seite an Seite mit Menschen arbeiten oder ältere Personen betreuen.

Nicht nur in der Lebensmitteilindustrie: Durch KI eröffnen sich neue Einsatzfelder für Roboter - im Haushalt, aber auch an der Werkbank. © Staubli

Bislang konzentrierte sich der Robotikboom auf die Industrie. Nach Angaben der International Federation of Robotics (IFR) sind weltweit knapp vier Millionen Industrieroboter im Einsatz: mehr als doppelt so viele wie 2017 und mit einem Gesamtwert von rund 113 Milliarden CHF. An der Spitze liegt China, gefolgt von Japan, den USA, Südkorea und Deutschland. Zusammengenommen entfallen auf diese fünf Länder 80 Prozent aller in Betrieb genommenen Roboter, so der jüngste IFR-Bericht. Der Branchenverband hebt für 2025 zwei Trends hervor: Generative KI, bekannt geworden durch ChatGPT, dringt in die physische Welt vor und verleiht Robotern ein breiteres Verstehenspotential sowie eine bessere Lernfähigkeit. Zudem sorgen humanoide Formen dafür, dass Roboter zu „universellen Werkzeugen" werden.

Tech-Giganten und Start-ups investieren

Roboter wurden bisher im Wesentlichen in der Industrie eingesetzt: Amazon etwa hat bereits mehr als 750'000 Roboter in seinen US-Logistikzentren im Einsatz © istock/imaginima

Diese Aussicht zieht massive Investitionen an -von etablierten Tech-Giganten wie Nvidia, Alphabet und Amazon bis zu einer Vielzahl von Start-ups wie Agility oder Figure AI, die gezielt daran arbeiten, Kraft von Robotern mit anpassungsfähigen "Gehirnen" zu kombinieren. Das lange belächelte Spezialfeld humanoider Roboter hat sich zum heiss umkämpften Markt entwickelt: Unternehmen wie Tesla, ChatGPT-Mutter OpenAI, der chinesische Autobauer BYD sowie Konsumgütermarken wie Meta und Apple entwickeln oder forschen an zweibeinigen Maschinen.

Die rege Aktivität veranlasste einen vielbeachteten KI-Marktbericht zu der Feststellung, dass "Robotik (endlich) wieder trendy wird, weil die grossen Entwicklungszentren mitmischen." Amazon etwa hat bereits mehr als 750'000 Roboter in seinen US-Logistikzentren im Einsatz und nutzt Generative KI zur Ablaufplanung, Verkehrssteuerung und zum Handling von ungewöhnlich grossen Paketen.

Marco Hutter, Direktor des Robotics Systems Lab, ETH Zürich
LLMs und Generative AI können eine natürliche Mensch-Roboter-Interaktion möglich machen, sagt Marco Hutter, Direktor des Robotics Systems Lab an der ETH Zürich.

Marco Hutter, Direktor des Robotics Systems Lab an der ETH Zürich und Leiter des europäischen Büros des RAI Institute, bezeichnet das Aufkommen von LLMs als Wendepunkt: "Das ist ein grosser Schritt, dessen vollständige Verzahnung mit der physischen Robotik noch etwas dauern wird. LLMs und Generative AI können Robotern ein höheres Mass an Intelligenz und "gesundem Menschenverstand' verleihen und eine natürliche Mensch-Roboter-Interaktion ermöglichen."

Diese Interaktion war bislang stark von vordefinierten Aufgaben geprägt. Wollte man einen Roboter etwas greifen lassen oder ihn durch einen Raum voller Objekte und Menschen navigieren, mussten Programmierer jedes mögliche Szenario vorhersehen und den dafür passenden Code schreiben. Oft waren zudem Markierungsstreifen auf dem Boden oder zeitaufwendiges Kartieren nötig -mit ernüchternden Ergebnissen, wie jeder Besitzer eines Saugroboters weiss. "Unsere Welt ist äusserst komplex, wenig strukturiert, dynamisch und vielfältig. Bezüglich Weltverständnis, autonomer Mobilität oder Fingerfertigkeit haben Roboter noch grosse Defizite", so Hutter.

Die wirklichen Fortschritte kommen aus der Software.

Sprachmodelle, die einfaches Englisch (oder andere Sprachen) verstehen und Wörter blitzschnell in ausführbaren Code übersetzen, zeigen einen einfacheren Weg. "Die Robotik-Hardware entwickelt sich nur sehr langsam weiter. Die wirklichen Fortschritte kommen aus der Software", erklärt Jan Liphardt, Associate Professor für Bioengineering an der Stanford University. KI vergleicht er mit einem blinden und tauben Verwandten, den man an der Hand durch einen Raum führt und alles Relevante beschreibt: "Sobald die Informationen übermittelt wurden und der Kontext stimmt, kann die KI Erstaunliches leisten.“

Jan Liphardt, Associate Professor für Bioengineering , Stanford University
Jan Liphardt, Associate Professor für Bioengineering an der Stanford University, besitzt drei Roboter-Hunde und findet, dass Roboter gerade in der Pflege einer überalterten Gesellschaft Positives bewirken können.

Liphardt, der drei Roboter-Hunde besitzt, mit denen er regelmässig spazieren geht, ist der Meinung, dass LLMs ähnlich funktioneren: „Grosse Sprachmodelle können wirklich überzeugende Antworten und Befehle für Hardwaresysteme liefern. Um einen Roboter mit vielen interessante Eigenschaften und einem recht guten Verhalten zu bauen, muss man ihm nur alle paar Sekunden einen kurzen Textabschnitt übermitteln."

Doch Sprache ist nur ein Teil der Umgebungswahrnehmung. Um zu sehen, zu hören und ihre Umgebung anderweitig zu erfassen, sind Roboter auch auf Sensoren wie Kameras angewiesen. Dass sie beim Beobachten von Menschen (oder anderen Robotern)  rasch lernen, haben kürzlich Forschende der Johns Hopkins und der Stanford University gezeigt: Sie fütterten Roboter mit Videos von chirurgischen Eingriffen, woraufhin diese Nadeln führen, Knoten binden und Wunden nähen konnten -inklusive eigener Fehlerkorrektur. Das Experiment könnte den Grundstein für Operationen legen, die nicht mehr von einem Arzt per Joystick gesteuert werden.

Lernkurve für Robotergehirne verbessern

Professorin Fei-Fei Li, Stanford University
Die Stanford-Professorin Fei-Fei Li, die "Godmother of AI" will KI-Systemen "eine räumliche Intelligenz verleihen". © Gabrielle Lurie/San Francisco Chronicle/Polaris

Technologinnen und Technologen wollen die Lernkurve für Robotergehirne mit Hilfe von vollständig simulierten Umgebungen noch weiter verbessern. Dafür seien digitale Umgebungen schneller, günstiger und genauso lehrreich, sagen die Befürworterinnen und Befürworter. Der Chiphersteller Nvidia stellte etwa ein 3D-Grundlagenmodell namens "Cosmos" vor. Die Stanford-Professorin Fei-Fei Li, oft als "Godmother of AI" bezeichnet, arbeitet ebenfalls intensiv an einem gut finanzierten Start-up namens World Labs, das KI-Systemen "eine räumliche Intelligenz verleihen will, die so reichhaltig ist wie unsere eigene".

Gelangen solche Trainingsbeschleuniger ins "Gehirn" von zwei- oder mehrbeinigen Robotern, wird das wirtschaftliche Potenzial deutlich: immer smartere Software, die in einen eigenen "Körper" schlüpft und völlig neue, weit über Fabriken und Lagerhallen hinaus gehende Bereiche erschliesst. Kein Wunder also, dass weltweit so viele Firmen in humanoide Roboter investieren. Mitte 2024 zählte man bereits mehr als 160 Herstellerinnen und Hersteller; über 60 davon in China -oft verzahnt mit etablierten E-Auto-Produzenten, die über Batterien- und Sensor-Know-how verfügen –, rund 30 in den USA und etwa 40 in Europa.

Sicherheitsrisiken wachsen mit der grösseren Leistungsfähigkeit

Durch die grössere Leistungsfähigkeit wachsen jedoch auch die Sicherheitsrisiken. Wie schon bei Chatbots immer wieder zu beobachten war, können Hacker bösartige Befehle einschleusen, die sogar physische Schäden verursachen oder Menschen verletzen können. Vernetzte Roboterschwärme könnten Attacken sogar verschärfen. "Wenn einer von ihnen etwas lernt, kann er die neue Fähigkeit oder Information sofort an alle anderen Roboter weitergeben. Ein Hacker, der einen Schwarm angreift, kann so viel schneller grossen Schaden anrichten", warnt Liphardt von der Stanford University.

Die Einführung humanoider Roboter auf dem Massenmarkt bleibt schwierig, sagt Tobias Aellig, Senior Equity Analyst bei der LGT.

Die weltweiten Robotik-Initiativen sind Teil der sogenannten vierten industriellen Revolution, erklärt Tobias Aellig, Senior Equity Analyst bei der LGT Bank: "Neue Technologien wie KI, Internet of Things und fortschrittliche Robotik steigern die Produktivität und Effizienz nahezu aller Wirtschaftssektoren." Zugleich sieht er jedoch noch wirtschaftliche Hürden: "Solange die Kosten nicht sinken, bleibt die Einführung humanoider Roboter auf dem Massenmarkt trotz erheblicher Fortschritte schwierig. Parallel dazu gewinnt die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter weiter an Bedeutung." Solche "Cobots", die Menschen beim Heben schwerer Lasten oder bei repetitiven Tätigkeiten unterstützen, machen bereits rund zehn Prozent aller Neuinstallationen aus -und sie haben ein deutlich höheres Wachstum als klassische Industrieroboter.

Ein naheliegender Einsatzbereich ist die Pflege, sagt Liphardt: "Ich beschäftige mich beruflich viel mit dem Gesundheitswesen und wünsche mir eine wesentlich bessere Versorgung von Patientinnen und Patienten." Wenn Roboter unabhängiger und weniger störanfällig werden, könnten sie eine immer älter werdende Bevölkerung unterstützen. "Das passiert bereits", so Liphardt und verweist auf sprechende Roboter, die Alzheimer- oder Parkinson-Patienten Gesellschaft leisten. „Wenn man aussuchen kann, ob eine Mutter den ganzen Tag in einem Sessel sitzt und Selbstgespräche führt oder ob ihr ein technisches Gerät ein Lächeln ins Gesicht zaubert, sie dazu bringt, sich zu bewegen und sich für etwas zu interessieren, dann ist ein solcher Roboter eine gute Sache. Die meisten Menschen unterschätzen erheblich, welch tiefe emotionale Bindung Menschen zu einem Roboter aufbauen können."

Der Autor
Steffan Heuer, Gastautor

Steffan Heuer befasst sich seit mehr als drei Jahrzehnten mit der Schnittstelle von Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft. Er pendelt zwischen der amerikanischen Westküste und Berlin. 

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