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Market View & Insights
Ein ganzes Berufsleben hat der schottisch-amerikanische Ökonom Angus Deaton erforscht, wie Wohlstand und Wohlfahrt zusammenhängen - und dafür den Wirtschaftsnobelpreis erhalten.
Macht Geld glücklich?
Mit dieser uralten Frage hat sich Angus Deaton ein Leben lang auseinandergesetzt. Seine Forschung hat nicht nur Antworten gefunden: Sie hat die Debatte grundlegend verändert.
Was Deaton wirklich interessierte, waren die "Armen dieser Welt, ihr Verhalten und die Faktoren, die ihnen ein gutes Leben ermöglichen." Statt abstrakter Theorien zu entwickeln wollte er ergründen, wie der Konsum von Gütern und Dienstleistungen mit Armut und Wohlergehen zusammenhängen.
Auch das Glück hat ein Einkommenslimit.
Für sein Lebenswerk erhielt Deaton 2015 den Nobelpreis. Dabei würdigte das Komitee insbesondere seine Erkenntnisse, wie sich individuelle Konsumentscheidungen auf die Gesamtwirtschaft auswirken. Es hob hervor, dass sein empirischer Ansatz dazu beigetragen habe, die Makroökonomie zu verändern - indem er "Muster entwirrt, die wir in komplexen Daten sehen".
Das Komitee verwies auch auf Deatons bahnbrechende Auswertung von Daten aus Haushaltsumfragen. Diese nutzte er unter anderem, um zu untersuchen, wie Einkommen und Kalorienaufnahme zusammenhängen und um das Ausmass der Geschlechterdiskriminierung innerhalb der Familie, insbesondere in Entwicklungsländern, zu beleuchten.
Deatons unkonventionelle Forschung hat der Entwicklungsökonomie einen soliden Boden gegeben, "dessen empirische Forschung auf hochwertigen Mikrodaten beruht", wie es das Komitee ausdrückte.
Eine Devise zieht sich durch Deatons Arbeit: "Data first".
1945 in Edinburgh geboren, verdankt Deaton seinem autodidaktischen Vater seine Liebe zur Mathematik - und eine solide Ausbildung.
Später wechselte Deaton von der Mathematik zu den Wirtschaftswissenschaften und promovierte 1975 an der University of Cambridge. Seine Dissertation ("Models of Consumer Demand and their Application to the UK") widmete sich Nachfragemodellen und ihrer Anwendung auf das Vereinigte Königreich.
Sein Doktorvater war kein Unbekannter: Richard Stone hatte Rechnungslegungsmodelle zur Erfassung wirtschaftlicher Aktivitäten entwickelt. Damit ging er als "Vater der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung" mit einem Wirtschaftsnobelpreis in die Geschichte ein.
1976 wurde Deaton Professor für Ökonometrie an der Universität Bristol. Über ein Jahrzehnt hinweg, machte er sich mit Beiträgen zur Modellierung der wirtschaftlichen Nachfrage einen Namen.
Am bedeutendsten war das Modell "Almost Ideal Demand System" (AIDS). Es beschreibt eine flexible und relativ einfache Methode, um das Konsumentenverhalten zu analysieren. Deaton hatte es gemeinsam mit dem Ökonomen John Muellbauer entwickelt und 1980 in der Fachzeitschrift The American Economic Review (AER) vorgestellt. Bis heute zählt der Aufsatz zu den 20 besten Veröffentlichungen der ersten 100 Jahre der AER.
Vor allem in seiner Wahlheimat, den USA, ist Deatons Arbeit weit über die Fachwelt hinaus populär geworden. Denn sie löste eine öffentliche Debatte über Wohlstand und Wohlbefinden aus.
Zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman untersuchte er 2010 in den USA, inwieweit sich das subjektive Wohlbefinden mit einem steigenden Einkommen verbessert. Demnach nimmt das Wohlbefinden mit dem Einkommen zu - bis zu einer Einkommensschwelle von USD 75'000. Nur die Lebenszufriedenheit wächst darüber hinaus.
Wenig überraschend lösten die Forschung über Geld und Glück ein grosses Echo in den Medien aus und entfachten eine intensive Diskussion.
So hinterfragte etwa Matthew Killingsworth von der Wharton School die These des "Glücksplateaus" ab einem bestimmten Einkommensniveau. Seine Studie deutet darauf hin, dass dies nur beim unglücklichsten Teil der Bevölkerung zutreffen dürfte.
In der Folge starteten Killingsworth und Kahneman einen neuen Versuch, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Resultat: Mit dem Einkommen nehmen Glück und Lebenszufriedenheit tendenziell zu - nur bei den Unglücklichsten nicht.
In seiner Nobelpreis-Autobiografie kommentierte Deaton die Ergebnisse trocken auf Gawker.com: "Die Wissenschaft zeigt: Armut ist schlimm."
Deaton ist immer wieder für einen markanten Spruch gut. Das machte auch seine spätere Forschung populär. Gemeinsam mit seiner Frau, Ökonömin Anne Case, ging er der steigenden Sterblichkeit unter weissen Amerikanerinnen und Amerikanern mittleren Alters nach - ein Trend, der in den Industrieländern einzigartig dasteht.
Ihre Erkenntnisse schildert das Paar im 2020 erschienen Buch "Tod aus Verzweiflung - Der Untergang der amerikanischen Arbeiterklasse und das Ende des amerikanischen Traums". Deaton und Case führten diese "Todesfälle aus Verzweiflung" auf Drogen- und Alkoholmissbrauch, Selbstmord sowie chronische Lebererkrankungen und Leberzirrhose zurück. Sie stellten fest, dass auch die Krankheitshäufigkeit stieg: insbesondere "selbst gemeldete Verschlechterungen der Gesundheit, der psychischen Gesundheit (...) und Arbeitsunfähigkeit."
Bald verwandelte sich Deaton mit seiner charakteristischen Fliege zu einem geschätzten Kommentator in den Medien, der die Opioidkrise in den USA einordnete. Und so kam es, dass der Staat eine weitere Untersuchung finanzierte. Darin entdeckte das Ökonomenpaar eine weitere Hauptursache für schlechte Lebensbedingungen, insbesondere für ungenügend ausgebildete, nichthispanische Weisse: Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschlechterten sich seit Jahren.
"Die Disziplin hat sich von ihrer Grundlage entfernt - der Erforschung des menschlichen Wohlergehens."
Deaton blickte jedoch auch über die USA hinaus - auf Armut und Ungleichheit in Entwicklungsländern. Ein Dorn im Auge war ihm dort die Praxis der Entwicklungshilfe.
In seinem 2013 erschienenen Buch "Der grosse Ausbruch: Von Armut und Wohlstand der Nationen" skizziert er, wie die Welt in den letzten 250 Jahren zwar immens gesünder und wohlhabender geworden ist. Zugleich hätten sich aber die Unterschiede zugespitzt. Das Problem für Deaton: Die Entwicklungshilfe stützt kaputte, korrupte und sogar "räuberischere" Systeme und zementiert damit Ungleichheiten.
Deaton fiel zwar nie als laut und radikal auf. Umso klarer kritisierte er diejenigen, die er für die zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichheiten verantwortlich macht - darunter seinen eigenen Berufsstand.
2020 tauschte er sich mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen über den eigentlichen Sinn der Ökonomie aus. Die Fachzeitschrift Annual Review of Economics verschriftlichte das Gespräch unter dem Titel "Economics with a Moral Compass" - Wirtschaft mit moralischem Kompass.
In seinem 2023 erschienenen Buch "Economics in America - Ein eingewanderter Ökonom erforscht das Land der Ungleichheit" ging Deaton mit seiner Zunft noch härter ins Gericht, wenn auch stets mit Charme. Sein Plädoyer: Ökonominnen und Ökonomen sollten sich wieder in den Dienst der Gesellschaft stellen. "Die Disziplin hat sich von ihrer Grundlage, nämlich der Erforschung des menschlichen Wohlergehens, entfernt", beklagt Deaton.
Ein Jahr später zeigte Deaton, dass man seine Meinung tatsächlich ändern kann. So verkündete er, wie er viele Mantras aus der Mainstream-Ökonomie bezweifelte. Der Niedergang der Gewerkschaften sei beispielsweise zu weit gegangen. Er habe "die Kluft zwischen Führungskräften und Arbeitnehmenden vergrössert, Gemeinschaften zerstört und zum Aufstieg des Populismus beigetragen."
Was, wenn sich die Ökonominnen und Ökonomen geirrt haben?
Stärker provozierte er, als er seine Auffassung über die Vorteile des Freihandels revidierte. Heute steht er ihm skeptisch gegenüber. So setzt er ein grosses Fragezeichen hinter die Behauptung, "wonach wir den enormen Rückgang der weltweiten Armut in den letzten 30 Jahren der Globalisierung verdanken."
Insgesamt sollte die Wirtschaftswissenschaft sich auf ihre Ursprünge zurückbesinnen. "Ökonomen könnten von einer stärkeren Auseinandersetzung mit Philosophen, Historikern und Soziologen profitieren - so wie es einst der grosse schottische Ökonom und Moralphilosoph Adam Smith im 18. Jahrhundert getan hat."
Zwar ist Deaton seit 2012 US-Staatsbürger, hat aber seine britische Bürgerschaft behalten. Er bleibt sichtlich stolz auf seine schottischen Wurzeln. Erst recht, seit ihm Queen Elizabeth 2016 den Titel "Sir" verliehen hat.
Als Professor für Wirtschaft und öffentliche Angelegenheiten an der Princeton University, wo er 1983 zu lehren begann, ist er nun im Ruhestand. Seine Forschung über Wohlstand und Wohlfahrt ist aber aktueller denn je.
Auch wenn Deaton das Rätsel "Macht Geld glücklich?" nicht vollständig gelöst hat: Er hat unser Verständnis der komplexen Beziehung zwischen Wirtschaft und Wohlbefinden gleichzeitig vertieft wie erweitert.