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Nachhaltigkeit

Sieben Mythen über erneuerbare Energien Und die Fakten, die sie widerlegen

Die Wende von fossilen Brennstoffen zu sauberer Energie ist seit Jahrzehnten im Gange. Trotzdem geistern noch immer Fehlinformationen durch die öffentliche Debatte. Wir räumen mit den gängigsten Vorurteilen auf und zeigen, warum der Wandel nicht nur unaufhaltsam, sondern auch notwendig ist.

Wie viele Vögel sterben wirklich wegen Windparks? Führen erneuerbare Energien zu Versorgungsengpässen? Und ist der Übergang unbezahlbar? - Wir unterziehen die häufigsten Vorurteile einem Faktencheck. © Shutterstock/Anton Havelaar

Man sollte meinen, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse und der politische Wille in Bezug auf erneuerbare Energien längst in Stein gemeisselt sind: Der Übergang von fossilen Brennstoffen läuft seit Jahrzehnten, und führende Nationen beziehen mittlerweile den Grossteil ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen.

Doch die Dinge können sich so schnell drehen wie der Wind. Wenn Menschen versuchen, den Übergang hin zu erneuerbaren Energien aufzuhalten, greifen sie gerne auf zweifelhafte Behauptungen, Mythen und Verschwörungstheorien zurück.

Hier sind einige der hartnäckigsten - und Fakten, die zeigen, dass sie schlicht nicht stichhaltig sind.

Mythos Nr. 1: Windparks sind schlecht für die Umwelt - auch für die Vögel

Töten Windkraftanlagen wirklich "alle Vögel", wie Präsident Trump behauptet? © istock/NanoStockk Symmetrical

Die US-Regierung führt eine Bewegung gegen die Windenergie an, die sich bald auch ausserhalb der USA verbreiten könnte. Präsident Trump hat behauptet, dass Windkraftanlagen nicht nur Immobilienpreise beeinträchtigen und die Aussicht verschandeln, sondern auch "alle Vögel töten" und "die Wale in den Wahnsinn treiben". Gleichzeitig hat er sich zum Ziel gesetzt, "Amerikas schöne saubere Kohleindustrie" wiederzubeleben.

LGT Equity Specialist Cedric Baur
LGT Equity Specialist Cedric Baur: "Untätigkeit ist keine Option."

Beginnen wir mit diesen armen Vögeln. Die traurige Tatsache ist, dass Vögel gegen alles fliegen, was hoch genug aus dem Boden ragt. Nach Schätzungen der US-Behörde Fish and Wildlife Service verursachen Windkraftanlagen im Vergleich zu Kollisionen mit Fahrzeugen, Stromleitungen und Gebäuden mit Fenstern jedoch nur einen Bruchteil der Vogelopfer - und keines dieser unglücklichen Ereignisse kommt auch nur annähernd an die tödlichen Auswirkungen von Hauskatzen heran.

Zudem kann die Gefahr für Vögel reduziert werden. "Oft sind Windparks oder auch einzelne Windanlagen mit speziellen Sensoren ausgestattet, welche die Turbinen verlangsamen oder abschalten, wenn ihnen Vögel zu nahekommen", so Cedric Baur, Equity Specialist bei LGT Private Banking. Er weist auch darauf hin, dass bei der Auswahl der Standorte für neue Onshore-Anlagen sorgfältige Naturschutzmassnahmen getroffen werden - und dass Offshore-Standorte als Nebeneffekt sogar als künstliche Riffe dienen können.

Widmen wir uns nun den Walen: Manchmal wird behauptet, dass Offshore-Windkraftanlagen für viele Strandungen von Buckelwalen an den US-Küsten verantwortlich sind. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten jedoch keinen Zusammenhang feststellen. Ihrer Einschätzung nach geht die eigentliche Gefahr für die Meeressäuger von Fischernetzen und Kollisionen mit Booten aus.

In vielen Ländern, darunter den USA, China und Deutschland, sind erneuerbare Energien heute die günstigste Energiequelle. Hier die Hochwasserentlastung in einem Stausee. © istock/nazar_ab

Mythos Nr. 2: Erneuerbare Energien sind nur dank Subventionen wettbewerbsfähig

Tatsächlich war das früher so. In den Anfängen der Branche in den 2000er-Jahren waren Subventionen ein wichtiger Faktor, um die Umstellung voranzutreiben. "In den 2010ern haben jedoch technologische Fortschritte und Skaleneffekte langsam, aber sicher den Status quo verändert", so Felix Kapfhammer, Ökonom bei LGT Private Banking. In vielen Ländern, darunter den USA, China und Deutschland, sind heute erneuerbare Energien die günstigste Energiequelle.  

Noch immer aber werden, wie Baur betont, fossile Brennstoffe trotz der Pläne, ihre Subventionierung auslaufen zu lassen, mit Milliardenbeträgen gefördert. Diese Subventionen erreichten 2022, als die Energiepreise nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine in die Höhe schossen, einen Höchststand von mehr als USD 1.2 Billionen.

Erneuerbare Energien werden immer zuverlässiger und erschwinglicher - und sind für die langfristige Energiesicherheit unverzichtbar. © stock/Nikada

Mythos Nr. 3: Erneuerbare Energien führen zu Versorgungsengpässen

Produzieren Solaranlagen auch an regnerischen Tagen Strom? © istock/serts

Erneuerbare Energien, insbesondere Wind- und Sonnenenergie, sind witterungsabhängig und stehen bei einer unzureichenden Steuerung tatsächlich nur mit Unterbrechungen zur Verfügung. Wie jedoch die jüngste schwere Energiekrise infolge der russischen Aggression in der Ukraine gezeigt hat, sind auch die weltweiten Lieferströme fossiler Brennstoffe äusserst anfällig. Um die Herausforderungen bei der Versorgung und Verteilung zu meistern sowie die anfangs für erneuerbare Energien charakteristischen Schwankungen zu glätten, wurde viel Arbeit investiert.

"Im Vergleich zum Risiko von Unterbrechungen bei der Einfuhr fossiler Brennstoffe aufgrund geopolitischer Spannungen ist das Risiko von Unterbrechungen bei erneuerbaren Energiequellen viel leichter zu bewältigen", erklärt Kapfhammer. "Mit erneuerbaren Energien können Regionen und Länder mit nur wenigen eigenen fossilen Brennstoffen Energieunabhängigkeit erreichen."

Mythos Nr. 4: Erneuerbare Energien können nur schlecht gespeichert werden

LGT Economist Felix Kapfhammer
LGT Economist Felix Kapfhammer betont die zunehmende Speicherkapazität von Grossbatterien.

Energie zu speichern ist bis heute eine Herausforderung, vor allem bei Wind- und Sonnenenergie. Schwankende Nachfrage und wechselnde Wetterbedingungen erhöhen den Bedarf nach einer intelligenten Steuerung der Energieversorgung. Aber die Speicherlücke schliesst sich. "Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, und das ist beim Aufbau eines Systems für erneuerbare Energien nicht anders", sagt Kapfhammer. "Speichermedien wie Grossbatterien werden immer günstiger, dadurch wirtschaftlich immer rentabler, und sie verbreiten sich rasch. Durch die steigende Nachfrage nach Speicherkapazitäten und durch technologische Fortschritte wird die erforderliche Speicherkapazität weiterentwickelt werden."

Die Wasserkraftindustrie reguliert bereits seit Jahrzehnten die Stromversorgung mit Pumpspeicherkraftwerken (PSK). Dabei wird Wasser immer dann, wenn der Strom billig und reichlich verfügbar ist, von niedrigeren in hohe Stauseen gepumpt. Bei Spitzenbedarf wird das Wasser dann wieder abgelassen und treibt mithilfe der Schwerkraft Turbinen an.

"Speichermedien wie Grossbatterien werden immer günstiger", so LGT Economist Felix Kapfhammer. Hier Batteriespeicher von Solarkraftwerken in der Wüste. © Shutterstock/The Desert Photo

Mehrere Regierungen investieren in PSK. Kapfhammer erläutert, dass PSK oft die günstigste und effizienteste grosstechnische Energiespeicherlösung ist, durchaus aber auch Nachteile hat: "Viele bisher nicht genutzte Standorte in Europa sind abgelegen oder provozieren aufgrund sozialer, ökologischer oder umweltbezogener Bedenken starken lokalen Widerstand. Ich denke zwar, dass es in Europa generell Möglichkeiten für mehr PSK gibt, schätze den Ausbau zusätzlicher PSK-Kapazitäten jedoch als begrenzt ein und denke, dass wir auf andere Speicheroptionen werden zurückgreifen müssen."

Mythos Nr. 5: Wir brauchen immer mehr Energie

"Nicht unbedingt", entgegnet Baur. Zwar geht man davon aus, dass die Weltbevölkerung insbesondere in Subsahara-Afrika noch mehrere Jahrzehnte lang weiter wachsen und der Energiebedarf langfristig tatsächlich steigen wird. Doch der Übergang zu erneuerbaren Energien und Elektrifizierung könnte mindestens den zusätzlichen Energiebedarf abdecken - und möglicherweise deutlich mehr. "Beim Strom geht weniger Energie als Abwärme oder durch Umwandlungsverluste verloren", so Baur.

Er fügt jedoch hinzu, dass dies ein komplexes Thema ist, da auch eine Steigerung der Energieeffizienz  zu geringeren Kosten und zu einem höheren Verbrauch führen kann.

Die hohen Kosten für umfangreiche Modernisierungen der Strominfrastruktur lassen sich nicht vermeiden. Aber die langfristigen Kosten, die entstehen, wenn die Neuerungen unterlassen werden, dürften noch höher sein. © istock/Nejc Gostincar

Mythos Nr. 6: Der Übergang ist unbezahlbar

Dieses Argument hätte überzeugender gewirkt, als Subventionen und Kosten noch hoch waren. Aber nun hat die Welt bereits den Punkt erreicht, an dem erneuerbare Energien nicht nur die umweltfreundliche, sondern auch die wirtschaftlich sinnvollere Wahl sind. Und dabei sind die kurz- und langfristigen Kosten der weiteren Nutzung fossiler Brennstoffe und die daraus resultierenden Klimaveränderungen noch nicht einmal berücksichtigt.

Der Rückversicherer Swiss Re schätzte 2021, dass bei einer aktuell geschätzten Erwärmung um ca. 2.6 °C bis 2050 das globale BIP um circa 14 % niedriger ausfallen könnte als in einer Welt ohne globale Erwärmung. Selbst wenn die Erwärmung deutlich unter 2 °C bleibt, wäre das globale BIP bis Mitte dieses Jahrhunderts immer noch um 4.2 % niedriger. "Untätigkeit ist keine Option", sagt Baur.

Mythos Nr. 7: Der Ausbau der Stromnetze ist viel zu teuer

Die hohen Kosten für umfangreiche Modernisierungen der Strominfrastruktur lassen sich nicht vermeiden. Aber die langfristigen Kosten, die entstehen, wenn die Neuerungen unterlassen werden, dürften noch höher sein. Unabhängig vom Übergang, so Baur, müssen viele Netze in wichtigen Ländern dringend erneuert werden, wenn sie den steigenden Anforderungen gerecht werden und beispielsweise die Vorteile der künstlichen Intelligenz nutzen wollen.

Es liegt auf der Hand, dass sie gleichzeitig angepasst werden müssen, um eine bessere Integration erneuerbarer Energiequellen zu ermöglichen. "Langfristig werden die Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa damit von niedrigeren Strompreisen profitieren", so Baur. "Im Übrigen ist der Bau und die Instandhaltung von Öl- und Gasinfrastrukturen alles andere als billig."

Fazit

Die Debatte über erneuerbare Energien wird oft weniger durch Fakten als durch Ängste und veraltete Argumente angeheizt. Dabei sind die Beweise eindeutig: Erneuerbare Energien werden immer zuverlässiger, erschwinglicher und sind für die langfristige Energiesicherheit unverzichtbar.

Bei der Entkräftung von Mythen geht es nicht nur darum, falsche Vorstellungen zu korrigieren, sondern auch darum, fundierte Entscheidungen zu ermöglichen, auf deren Basis eine nachhaltigere Zukunft gestaltet werden kann.

Der Autor
Simon Usborne, Gastautor

Simon Usborne ist freiberuflicher Feuilletonist, Redakteur und Journalismusdozent in London, wo er unter anderem für die Sunday Times, die Financial Times und The Guardian schreibt.

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