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Anlagestrategien

Im Rennen um Ihre Daten geben Autobauer Gas

Wer kennt Sie am besten? Wenn Sie gerade ein neues Auto gekauft haben, könnte es bereits Ihr Fahrzeug sein. Wie Autohersteller den Wert der Daten entdecken.

Datum
Autor
Jukka Väänänen, Gastautor
Lesezeit
5 Minuten
Ein rotes Auto fährt in der Nacht auf Lichter zu
Es wird geschätzt, dass Automobilhersteller durch den Verkauf von Daten jährlich bis zu 800 Mrd. USD zusätzlichen Umsatz erzielen können. Das entspricht fast einem Drittel des weltweiten Umsatzes der Automobilindustrie. © Getty Images/Emanuel M Schwermer

Sobald Sie sich heutzutage in Ihr Fahrzeug setzen (und manchmal sogar schon früher), sammelt es Daten über Sie. Mittlerweile sind 50 Prozent der weltweit verkauften Neufahrzeuge mit dem Internet verbunden, Tendenz steigend. Die globale Beratungsfirma McKinsey & Company schätzt, dass bis 2030 95 Prozent aller Neuwagen mit dem Internet vernetzt sein werden.

Die dadurch erzeugten Daten sind eine lukrative Ertragsquelle. Der finanzielle Erfolg der Autobauer hängt somit nicht mehr ausschliesslich vom Absatz ihrer Fahrzeuge, Ersatzteile oder Serviceleistungen ab. Erträge generieren sie nun auch durch den Verkauf von Abonnementdiensten und die Weitergabe der Daten ihrer Kundinnen und Kunden an Dritte.

Was als Zubrot für Autohersteller begann, könnte sich zu einem Riesengeschäft entwickeln. Laut den Schätzungen von CapGemini, einer anderen weltweit agierenden Beratungsfirma, könnten die Autobauer durch den Verkauf Ihrer  Daten jährlich bis zu USD 800 Milliarden mehr Umsatz erzielen. Dies entspricht fast einem Drittel des weltweiten Umsatzes, den die Automobilindustrie zurzeit rund um den Globus erzielt.

Dieses Jahr hat Stellantis, der viertgrösste Autobauer der Welt und Eigentümer von Marken wie Peugeot, Fiat, Alfa Romeo und Maserati, die Gründung eines neuen Geschäftsbereichs namens Mobilisights angekündigt. Dieser verfolgt das Ziel, durch die Vernetzung seiner Fahrzeuge mit dem Internet bis zum Ende des Jahrzehnts einen Jahresumsatz von EUR 20 Milliarden zu generieren.  

Rückansicht des Peugeot "IncepGon Concept EV", das auf einer Messe ausgestellt wird
Stellantis, der viertgrösste Autobauer der Welt und Eigentümer von Marken wie Peugeot, Fiat, Alfa Romeo und Maserati, ist einer der aktivsten Autohersteller im Bereich der Konnektivität. © James Atoa/UPI/laif

"Stellantis ist einer der aktivsten Autohersteller im Bereich der Konnektivität", so Dr. Tilman Dumrese, Senior Equity Analyst bei der LGT Bank. "Der Jahresumsatz von Stellantis beläuft sich auf rund EUR 180 Milliarden und dürfte 2030 noch weiter wachsen. Wir sprechen also von einem Gesamtumsatzanteil von bis zu 10 Prozent, der mit Softwaredienstleistungen erwirtschaftet werden soll. Und das ist noch moderat gerechnet."

Jedenfalls sind die Zahlen eindrucksvoll genug, um die Autobauer zur Ausweitung ihres Softwareangebots zu bewegen. Weil Elektrofahrzeuge aus weniger Teilen bestehen als Autos mit Verbrennungsmotoren, sinkt der Bedarf an Serviceleistungen und neuen Komponenten. Um diesen Ausfall zu kompensieren, werden neue Ertragsquellen benötigt. Und hier kommt die Vernetzung der Fahrzeuge durch Technologie und Datengewinnung ins Spiel.

Fahrer bedient elektronische Konsole im Fahrzeug
Es gibt immer Gründe, sich um Datensicherheit und Datenschutz zu sorgen, auch beim eigenen Fahrzeug. © Shutterstock/metamorworks

Wir alle wissen, dass unsere Smartphones grosse Mengen an Informationen über uns sammeln, was wir in vielen Fällen bereitwillig geschehen lassen. Doch was wir in unserem Auto tun, sagen oder singen, wenn wir im Karaoke-Stil unterwegs sind, erzeugt ebenfalls eine Unmenge an Informationen.

Wer den Fahrstil seiner Kundinnen und Kunden kennt und weiss, wie Menschen mit ihrem Auto interagieren, welche Musiktitel auf der Playlist stehen, und wie viele Passagiere mitfahren, erhält wertvolle Daten, die analysiert werden können, um "Schlüsse" über Sie zu ziehen. Dabei werden mehrere Datenpunkte verwendet, um Annahmen über Ihr Leben, Ihre Interessen und Ihre Persönlichkeit zu treffen. Wer beispielsweise regelmässig mehrere Personen im Auto befördert und Kinderlieder auf der Playlist hat, könnte Mutter oder Vater sein. Sogar die Anzahl und das ungefähre Alter Ihrer Kinder könnten daraus abgeleitet werden. Für Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen für Familien anbieten, wie zum Beispiel Versicherungen, Reisebüros oder Spielzeughersteller, sind diese Informationen wertvoll in der gezielten Vermarktung.

Können Sie Ihrem Auto Ihre Geheimnisse anvertrauen?

Es gibt stets Gründe, um sich über die Sicherheit und den Schutz von Daten Sorgen zu machen. Und es sieht so aus, als ob die Autobauer unsere Informationen sammeln und verwenden. Dabei scheinen sie den Aufsichtsbehörden stets einen Schritt voraus zu sein.

Nur wenige Käuferinnen und Käufer machen sich die Mühe, das Kleingedruckte zu gelesen. Deshalb ist es gut, dass manche Organisationen das für uns tun. Dieses Jahr verbrachte die Mozilla Foundation 600 Stunden damit, die Datenschutzrichtlinien von Automobilherstellern zu analysieren. Die Ergebnisse, die sie im Rahmen einer Studie veröffentlichte, sind alles andere als beruhigend.

Rechtlich betrachtet beginnt Datenschutz stets mit einer Einwilligung: Sie erteilen eine Erlaubnis für die Erfassung Ihrer Daten und deren Nutzung durch den Empfänger. Hier kommen die berühmt-berüchtigten "Allgemeinen Geschäftsbedingungen" ins Spiel, die wir üblicherweise per Klick auf die entsprechende Schaltfläche akzeptieren.

Unter der Haube eines Nissan
Dank Vernetzung und Technologie können Fahrzeuge automatisch Service- und Reparaturtermine ansetzen, in Ihren Kalender eintragen - und gleichzeitig Ihre Autowerkstatt über die zu bestellenden Ersatzteile informieren. © Unsplash/Carlos Freire

In vielen Fällen setzen Automobilunternehmen Ihre Einwilligung allerdings schlichtweg voraus. Tesla spielt zum Beispiel die Angstkarte aus, um Sie zur Annahme der Bedingungen zu bewegen. Das Unternehmen suggeriert, man sei andernfalls in Gefahr: "Wenn Sie der Erfassung von Fahrzeugdaten widersprechen (mit Ausnahme der fahrzeuginternen Datenaustauschpräferenzen), sind wir nicht in der Lage, in Echtzeit Kenntnis über Probleme mit Ihrem Fahrzeug zu erlangen bzw. Sie in Echtzeit darüber zu informieren. Dies kann zu Funktionseinschränkungen, ernsthaften Beschädigungen oder einem Ausfall Ihres Fahrzeugs führen."

Die Autobauer sind nicht nur an Ihren Daten interessiert, sondern auch an Informationen über Ihre Passagiere. Und darüber müssen sie theoretisch Bescheid wissen. Gehört Ihnen ein Nissan, müssen Sie sich deshalb vor Antritt Ihrer Fahrt erst einmal im Vorlesen üben. Sie sollen für den Hersteller die juristische Arbeit erledigen, indem Sie "versprechen, alle Nutzer und Insassen Ihres Fahrzeugs über die Service- und Systemmerkmale sowie -begrenzungen, die Vertragsbestimmungen, einschliesslich der Bestimmungen betreffend Datenerfassung, Datennutzung und Datenschutz, sowie über die Datenschutzrichtlinie von Nissan zu unterrichten und zu informieren."

Visualisierung Datenstrasse in einer Grossstadt
Autohersteller sehen das grösste Potenzial im Verkauf von Software-as-a-Service und investieren daher viel Geld in Software. © Shutterstock/metamorworks

Die Datenschutzrichtlinie ist übrigens 9461 Wörter lang. Bevor Sie jemand Neues in Ihrem Nissan mitnehmen, sollten Sie sich also im Klaren darüber sein, dass sich Ihre Reise (auf Grundlage einer durchschnittlichen Vorlesegeschwindigkeit) um 38 Minuten verlängert.

Europa verfügt über eines der weltweit strengsten Regelwerke zur Nutzung personenbezogener Daten. Dies verschafft den Akteuren, die mit privaten Daten zu tun haben, Rechtssicherheit im Umgang damit. Wenn man jedoch meint, dass Beschränkungen hinsichtlich der Verwendung personenbezogener Daten deren Nutzung und Verkauf behindern, dann täuscht man sich: Laut McKinsey "verkaufen europäische Unternehmen personalisierte Daten viel eher als Firmen in den USA". 

Die Vorteile des vernetzen Autos

Um erfolgreich zu sein, müssen Geschäftsmodelle der Kundschaft stets Vorteile bieten. Vernetzung und Technologie bringen viele solcher Vorteile mit sich. Zum Beispiel könnte Ihr Fahrzeug automatisch Service- und Reparaturtermine ansetzen, in Ihren Kalender eintragen - und gleichzeitig Ihre Autowerkstatt über die zu bestellenden Ersatzteile informieren. So liesse sich die Verfügbarkeit der benötigten Komponenten sicherstellen und die Wartezeit minimieren. Anhand der Daten, die Ihr Auto über Ihren Fahrstil sammelt, könnten die Fahrzeugeinstellungen optimiert werden. Dies würde Ihre Fahrt sicherer machen und die Fahrzeugabnutzung so gering wie möglich halten.

Nahaufnahme BMW Felgen
Sitzheizung für USD 18 pro Monat, beheiztes Lenkrad für USD 10 pro Monat: BMW versuchte 2022, seinen Kunden bestimmte Komfortleistungen in Rechnung zu stellen. © Unsplash/Jaddy Liu

In der Vergangenheit konnten Autobauer nur einmalig vom Verkauf eines Fahrzeugs profitieren - und danach nur noch sporadisch von Serviceleistungen und vom Ersatzteilverkauf. Technologie und Vernetzung eröffnen ihnen nun die Möglichkeit, Fahrzeugbesitzerinnen und -besitzern  auch Abonnementdienste - zum Beispiel ein Netflix- oder iTunes-Angebot - zu verkaufen.

Genau hier, nämlich im Verkauf von Software-as-a-Service im Abonnement, liegt aus Sicht der Autohersteller das grösste Potenzial. Deswegen investieren sie viel Geld in Software. So betreffen rund 70 Prozent der Neueinstellungen, die General Motors in den letzten zwei Jahren vorgenommen hat, Softwareexpertinnen und -experten. "Letztlich geht es um innovative Produkte und Dienstleistungen, für welche die Kundschaft bereit ist zu zahlen", sagt Dumrese. "Bei Neuwagen wird erwartet, dass einige dieser Dienstleistungen bereits eingebaut sind. Die Kundschaft dazu zu bewegen, hierfür extra zu bezahlen, ist jedoch schwierig."

Bei den ersten Versuchen, Autobesitzerinnen und -besitzern Abonnemente zu verkaufen, standen noch traditionelle Funktionen im Mittelpunkt. So verfolgte beispielsweise BMW 2022 einen Ansatz, den man sonst eher von Billigfluglinien kennt. Der Münchner Autobauer versuchte, seiner Kundschaft bestimmte Komfortangebote in Rechnung zu stellen: Sitzheizungen waren für USD 18 pro Monat zu haben, ein beheiztes Lenkrad für monatlich USD 10. Mercedes begann damit, Leistung extra zu berechnen. Eine bessere Beschleunigung kostete USD 1 200 pro Jahr. 

Wer kennt Sie am besten?

Tilman Dumrese, LGT Senior Aktienanalyst
Tilman Dumrese, LGT Senior Aktienanalyst

Die Kombination von Mobilitäts- und Softwaredienstleistungen eröffnet Autoherstellern neue Wege, um während der gesamten Lebensdauer eines Fahrzeugs wiederkehrende Erträge zu generieren. "Es herrscht ein harter Wettbewerb in der Automobilindustrie. Jeder Hersteller sieht seine Verkaufszahlen durch die Konkurrenz bedroht", so Dumrese. "Statt sich über den Regen zu beklagen, werden Ihnen clevere Unternehmen einen Regenschirm anbieten. Das heisst: Die Firmen müssen ständig innovativ sein und ihrer Kundschaft neue Lösungen zur Verfügung stellen. Die Fahrzeugvernetzung ist Teil dieser Innovationen - und eine potenzielle zusätzliche Ertragsquelle."

Zusammengefasst: Wer heute - und erst recht in naher Zukunft - in einem Fahrzeug unterwegs sind, ist nicht mehr einfach nur eine Fahrerin oder ein Fahrer, sondern eine Datenquelle und ein stetiger Ertragsfaktor. Die Erfassung Ihrer Daten wirft jedoch Datenschutzprobleme auf. Je mehr Informationen die Autobauer aus dem Datenmeer fischen, desto mehr laufen sie Gefahr, mit dem Gesetzgeber in Konflikt zu geraten. Von einer Regulierung profitieren sowohl die Kundschaft als auch die Hersteller.

Klare Regeln werden das Vertrauen zwischen beiden Seiten stärken - sofern sich die Autobauern an diese Regeln halten. Letzteres war (und ist) nicht immer der Fall. Jedenfalls kann die Automobilindustrie die Aussicht auf Hunderte von Milliarden an neuen Erträgen nicht einfach in den Wind schlagen. Deshalb wird es früher oder später Ihr Auto sein, das Sie am besten kennt.

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