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Market View & Insights
Zölle haben sich im Laufe der Zeit gewandelt: von einer Finanzierungsquelle für Regierungen zu einem geopolitischen Machtinstrument. Wer sich im heutigen Anlageumfeld zurechtfinden will, muss ihre Wirkung verstehen.
Zölle sind zurück in den Schlagzeilen - spätestens seit US-Präsident Donald Trump hohe Einfuhrzölle auf Verbündete und Konkurrenten erhoben und anschliessend fast beliebig verändert hat. Seine Massnahmen führen uns vor Augen, wie eine aggressive Zollpolitik die Weltmärkte auf den Kopf stellen kann.
Zölle gelten klassisch als Steuern auf den internationalen Handel. Doch die Geschichte zeigt: Sie waren oft viel mehr als das.
Lange bevor Einkommenssteuern die Staatskassen füllten, erhoben Herrscherinnen und Herrscher im alten Mesopotamien, im kaiserlichen China und im mittelalterlichen Europa schon Abgaben auf Waren, die über die Grenzen kamen. So verschafften sie sich Einnahmen - und konnten den Handelsfluss kontrollieren.
Auch die Vereinigten Staaten finanzierten sich anfänglich über Zölle. Als eines der ersten Gesetze verabschiedete der US-Kongress den Tariff Act von 1789. Er belegte Importe mit Zöllen, um Einnahmen zu generieren und die junge heimische Industrie zu schützen. Bis zur Einführung der Einkommensteuer 1913 blieben Zölle die wichtigste Einnahmequelle des Bundes.
Vor rund 200 Jahren begann man, mit Zöllen auch bevorzugten Branchen und Bevölkerungsgruppen unter die Arme zu greifen.
Ein Paradebeispiel für Zölle als Fördermittel sind die britischen Getreidegesetze von 1815. Sie schlugen einen Zoll auf importiertes Getreide, um die heimische Landwirtschaft zu unterstützen. Das gefiel den britischen Landbesitzern und Bauernfamilien. Doch unter den hohen Getreidepreisen und dem eingeschränkten Zugang zu billigerem ausländischem Getreide litten die städtischen Konsumentinnen und Konsumenten sowie die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Industriestädten und Fabriken. Ihnen blieb weniger Geld für andere Güter. Erst nach jahrelangem Widerstand wurden die Gesetze 1846 aufgehoben.
Erst kam der Freihandel - dann die Retourkutsche.
Auch in den USA spalteten Zölle die Nation, wobei hier die Fabriken davon profitierten. Der "Tariff of Abominations" von 1828 schützte die Hersteller in den nördlichen Bundesstaaten, indem er die Zölle auf Industrieimporte drastisch erhöhte. Dies schadete jedoch der Landwirtschaft im Süden: Dort musste man für die Fabrikwaren aus dem Norden mehr bezahlen, während man weniger Baumwolle exportieren konnte - denn die Einkommen der ausländischen Handelspartner sanken. Der Zwist weitete sich auf Fragen der Rechte der Bundesstaaten und der Sklaverei aus und führte schliesslich zum amerikanischen Bürgerkrieg.
Nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 verabschiedete der Kongress das Smoot-Hawley-Zollgesetz. Dieses erhöhte die Zölle auf Hunderte von Importen, um Arbeitsplätze in den USA zu sichern. Der Schuss ging nach hinten los. Und obendrein löste er einen globalen Handelskrieg aus. Bald reagierten andere Länder mit Vergeltungszöllen auf US-Exporte.
"Damals begründete man die Zölle damit, dass man die krisengeschüttelten Sektoren rasch und spürbar entlasten müsse - die längerfristigen globalen Auswirkungen wie Vergeltungsmassnahmen und den Rückgang des internationalen Handels unterschätzte man", sagt Tina Jessop, Senior Economist bei LGT Private Banking.
Nach diesem politischen Misserfolg führte der Kongress 1934 den Reciprocal Trade Agreements Act ein. Dieser erlaubte es dem Präsidenten, bilaterale Zollsenkungen auszuhandeln - was eine flexiblere, diplomatisch geprägte Handelspolitik einleitete.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich die Politik von Zöllen zu Liberalisierungen. Das Bretton-Woods-Abkommen von 1944 und das 1947 in Genf unterzeichnete Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) zielten darauf ab, Handelsbarrieren abzubauen, den wirtschaftlichen Austausch zu fördern und den politischen Isolationismus der 1930er zu vermeiden.
Zwar wurden Zölle weiterhin zum Schutz bestimmter Branchen und sogar einzelner Unternehmen eingesetzt. So geriet beispielsweise der US-amerikanische Motorradhersteller Harley-Davidson in den 1980er-Jahren ins Hintertreffen gegenüber der starken japanischen Konkurrenz. Kurzerhand erhob Präsident Ronald Reagan vorübergehend Zölle auf Motorräder. Damit verschaffte er Harley-Davidson eine Verschnaufpause, um die Produktionsabläufe auf Vordermann zu bringen.
Insgesamt beschleunigte sich jedoch der Abbau von Zöllen. Am 1. Januar 1993 begann der EU-Binnenmarkt. Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen den USA, Mexiko und Kanada trat 1994 in Kraft. 2020 ratifizierten die beteiligten Staaten das Nachfolgeabkommen USMCA (United States-Mexico-Canada Agreement). Die Welthandelsorganisation (WTO) nahm 1995 ihre Arbeit auf.
Während niedrigere Zölle das globale Wirtschaftswachstum ankurbelten, hatte NAFTA seinen Preis: Im verarbeitenden Gewerbe verlagerten sich Arbeitsplätze von den USA nach Mexiko. Und nachdem China 2001 der WTO beigetreten war, senkten viele Länder die Zölle auf chinesische Produkte. Bald überschwemmten chinesische Importgüter die Märkte.
Dieser "China-Schock" kam zwar preissensitiven Konsumentinnen und Konsumenten im Westen entgegen. Doch er setzte ganze Branchen unter Druck. Zahlreiche Länder verloren Arbeitsplätze. Verständlicherweise führte dies zu "anhaltender Verbitterung unter den Menschen, die miterlebten, wie ihre Gemeinden durch die Deindustrialisierung ausgehöhlt wurden", betont Andrew Cohen, Professor für amerikanische Geschichte an der Syracuse University.
Das Ergebnis? Der Aufstieg des wirtschaftlichen Nationalismus - und des Populismus.
Heute dienen Zölle nicht nur der Finanzierung von Regierungen (die Zolleinnahmen halfen den USA im August 2025, ihr "AA+"-Rating von S&P zu behalten) oder dem Schutz nationaler Branchen (die EU führte 2024 neue Antisubventionszölle auf importierte chinesische Elektrofahrzeuge ein). Zölle sind zunehmend ein geopolitisches Machtinstrument.
Gemäss US-Verfassung hat der Kongress die Befugnis, Zölle festzulegen. Doch er hat diese teilweise an die Exekutive delegiert - im Fall von Notfallsituationen, Bedrohungen der US-Wirtschaft und der nationalen Sicherheit. Genau das machte sich Präsident Trump zunutze. Angesichts der Handelsdefizite, Produktionsrückgängen und des "zunehmenden Konsums synthetischer Opioide" rief er den Notstand aus, um mittels Durchführungsverordnungen den Kongress zu umgehen und seine weitreichenden - und oft unvorhersehbaren - Zölle durchzusetzen.
"Auch wenn sich die Rolle von Zöllen im Laufe der Geschichte gewandelt hat, bleiben sie ein mächtiges Instrument im politischen Arsenal. Zwar können Zölle bei Bedarf Entlastung oder Hebelwirkung bieten, doch müssen ihre weiterreichenden wirtschaftlichen und politischen Folgen sorgfältig abgewogen werden", sagt Jessop.
Für sie ist eines klar: Aufgrund der heutigen globalen Lieferketten sind die Auswirkungen von Zöllen viel komplexer als noch 1930.