Finanzwissen

William F. Sharpe: Aus dem Elfenbeinturm in die reale Welt

Ohne das Capital Asset Pricing Model und die Sharpe Ratio sÀhe unsere heutige Anlagelandschaft ganz anders aus. Beide wurden von ein und demselben Wirtschaftswissenschaftler und NobelpreistrÀger entwickelt.

Datum
Autor
Maggie Elliott, Gastautorin
Lesezeit
4 Minuten
Fotomontage mit dem Schriftzug "Investorenpersönlichkeiten" und einem Mann mit Brille in Nahaufnahme
William F. Sharpe ist vor allem fĂŒr seine theoretischen BeitrĂ€ge bekannt, war aber auch an der Entwicklung der ersten passiven Indexfonds bei Wells Fargo beteiligt. © Jessica Brandi Lifland/Polaris/laif

William F. Sharpe, amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Stanford University, hat nicht nur bahnbrechende Theorien ĂŒber Investitionen entwickelt. Er setzte sie auch in die Praxis um, indem er grosse institutionelle Anlegerinnen und Anleger beriet und in den 1990er Jahren das Unternehmen Financial Engines mitbegrĂŒndete, das Privatpersonen eine automatisierte Altersvorsorgeberatung anbietet.

FĂŒr seine bahnbrechenden Arbeiten zur Theorie der Finanzwirtschaft erhielt der gebĂŒrtige Bostoner 1990 gemeinsam mit Harry Markowitz und Merton Miller den Nobelpreis fĂŒr Wirtschaftswissenschaften. Sharpes Beitrag bestand in der Entwicklung des Capital Asset Pricing Model (CAPM). Mit diesem Modell lĂ€sst sich die Performance eines Portfolios anhand des mit seinen Anlagen verbundenen Risikos messen. Zudem unterstĂŒtzt es Portfoliomanagerinnen und Portfoliomanager bei der Entscheidung, ob potenzielle Renditen das mit ihnen verbundene Anlagerisiko wert sind.

Breite Interessen 

Älterer Herr mit Brille und Jackett
Erst Mentor, dann Partner: Gemeinsam mit Harry Markowitz (im Bild) und Merton Miller erhielt Sharpe 1990 den Nobelpreis fĂŒr Wirtschaftswissenschaften. © Sandy Huffaker/The New York Times/laif

Dass Sharpe intellektuelle FĂ€higkeiten mit praktischem Engagement in der realen Welt verband, ist unter NobelpreistrĂ€gerinnen und NobelpreistrĂ€gern selten anzutreffen. Seinen Ursprung hat diese Kombination in seiner Zeit bei der RAND Corporation, einem einflussreichen US-Think-tank, in den 1950er- und 1960er-Jahren. Hier lernte Sharpe nicht nur seinen Mentor Harry Markowitz kennen, sondern auch die damals neuen Forschungszweige Programmieren, Spieltheorie und angewandte Wirtschaftswissenschaften. Markowitz war der Urheber einer Theorie ĂŒber Portfolios unter Unsicherheit, die heute als Grundlage der Finanzwirtschaft als anerkanntes Forschungsgebiet gilt.

Sharpe optimierte das Modell von Markowitz, indem er es von der Mikroanalyse auf Marktanalysen der Preisbildung bei finanziellen Vermögenswerten ausweitete. Das CAPM beschreibt die Beziehung zwischen dem systemischen Risiko, d. h. den allgemein mit Anlagen verbundenen Risiken, und der erwarteten Rendite der einzelnen Vermögenswerte wie etwa Aktien. In der ersten, von Sharpe 1962 in einem Aufsatz veröffentlichten Fassung ging das Modell von einer linearen Beziehung zwischen Risiko und Rendite aus. Das Risiko besteht hier aus zwei Komponenten: einerseits dem Beta des Titels, d. h. dem risikofreien Zinssatz (im Allgemeinen dem Zins von Staatsanleihen), und der PrĂ€mie fĂŒr das mit dem Titel verbundene Aktienrisiko bzw. der Marktrendite nach Abzug des Beta andererseits.

Marktentwicklung

Wildwasserkajak aus der Vogelperspektive
Das Sharpe-Modell geht von einem linearen Zusammenhang zwischen Anlagerisiko und Anlagerendite aus. © Shutterstock/Dewald Kirsten

Das CAPM hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt, so wie sich auch die MĂ€rkte durch die Entwicklung neuer Finanzinstrumente und Rechenleistungen verĂ€ndert haben. Mithilfe des CAPM lĂ€sst sich ermitteln, ob ein Wertpapier oder Portfolio fair bewertet ist. Heutzutage ist das CAPM allerdings nur ein Bestandteil eines facettenreichen Anlageansatzes, da eine CAPM-Berechnung fĂŒr ein Wertpapier oder ein gesamtes Portfolio auf einer Reihe von Annahmen beruht, die in der RealitĂ€t nur selten oder nie erfĂŒllt sind. So geht das Modell beispielsweise davon aus, dass alle Anlegerinnen und Anleger von Natur aus risikoavers sind, dass ihnen allen derselbe Zeitraum zur Evaluation von Informationen zur VerfĂŒgung steht, dass das zum risikofreien Zinssatz aufnehmbare Kapital in unbegrenzter Menge verfĂŒgbar ist und - dies dĂŒrfte der wichtigste Punkt sein - dass zwischen Risiken und Renditen eine lineare Beziehung besteht.

Einfachheit und Eleganz

Im Zuge der Entwicklung der Finanzwirtschaft werden Modelle wie das CAPM immer wieder zerlegt und aktualisiert. Aufgrund seiner Einfachheit und Eleganz wird das CAPM jedoch nach wie vor zum VerstĂ€ndnis von Portfoliorisiken und erwarteten Renditen verwendet, wenn auch hĂ€ufig in Verbindung mit anderen Konzepten wie der Effizienzgrenze und der modernen Portfoliotheorie. So kann das Modell beispielsweise zur Untersuchung von Kapitalkosten im Zusammenhang mit Akquisitionsentscheidungen oder als Grundlage fĂŒr Preisentscheidungen in regulierten Industrien verwendet werden.

Sharpe entwickelte ein einfaches Mass fĂŒr das Investitionsrisiko.

Sharpe verbrachte einen Grossteil der 1960er und 1970er Jahre als Dozent, zuerst an der University of Washington, dann an der University of California in Irvine, bevor er 1973 nach Stanford berufen wurde. In dieser Zeit konzentrierte sich seine Forschung auf Fragen im Zusammenhang mit dem Gleichgewicht der KapitalmĂ€rkte und den Auswirkungen auf die Portfolioentscheidungen der Anlegerinnen und Anleger. Er baute seine ursprĂŒngliche CAPM-Theorie aus, entwickelte neue Ideen und nutzte empirische Analysen, um herauszufinden, wie sich die Theorie in der RealitĂ€t umsetzen lĂ€sst.

Entwicklung der Sharpe Ratio

Bildschirm mit Börsenkursen
Die Überrendite, die Anlegerinnen und Anleger pro Einheit VolatilitĂ€t ĂŒber dem risikofreien Zinssatz erzielen, wurde von William F. Sharpe definiert. © Shutterstock/ImageFlow

Im Jahr 1966 publizierte Sharpe das Konzept der Reward-to-Variability Ratio, die inzwischen den Namen Sharpe Ratio trĂ€gt. (Nach seiner Aussage wurde die Formel vom renommierten Finanzökonomen Eugene Fama so benannt.) Einmal mehr profilierte sich Sharpe als Entwickler einer einfachen - allenfalls zu einfachen - Messgrösse fĂŒr das Anlagerisiko.

Die Sharpe-Ratio misst die Überrendite gegenĂŒber dem risikofreien Zinssatz pro Einheit VolatilitĂ€t. Wenn zwei Portfolios Ă€hnliche Renditen erzielen können, zeigt die Sharpe Ratio, welches Portfolio mehr Risiken eingegangen ist, um diese Rendite zu erzielen, die so genannte risikoadjustierte Rendite. 

Ein sehr einfaches Beispiel zeigt anhand eines Einzeltitels, wie die Sharpe Ratio funktioniert. Annahmen: 

  • Die risikofreie Rendite betrĂ€gt 3 Prozent.
  • Titel X hat im vergangenen Jahr eine Rendite von 12 Prozent bei einer VolatilitĂ€t von 5 Prozent erbracht.
  • Mit der Formel (12-3)/5 erhĂ€lt man eine Sharpe Ratio von 1.8 fĂŒr Titel X. 
  • Titel Y hat seinerseits ebenfalls 12 Prozent Rendite erbracht; seine VolatilitĂ€t lag allerdings bei 8 Prozent. 
  • Mit der Formal (12-3)/8 erhĂ€lt man eine Sharpe Ratio von 1.125 fĂŒr Titel Y.

Die höhere Sharpe Ratio von Titel X zeigt an, dass das Risiko zum Erreichen derselben Rendite bei Titel X geringer ist als bei Titel Y.

NatĂŒrlich handelt es sich auch bei der Sharpe Ratio um ein Modell auf Basis einer Reihe von Annahmen, die nicht immer der RealitĂ€t entsprechen. Sie geht davon aus, dass sich vergangene Ereignisse wiederholen und dass der risikofreie Zinssatz im Verlauf der Zeit stabil bleibt.

Ist die Sharpe Ratio zu stark vereinfachend?

Die als Standardabweichung der Renditen bezeichnete Messgrösse fĂŒr die VolatilitĂ€t beruht auf einer statistischen Normalverteilung von Wahrscheinlichkeiten, der bekannten Gaussschen Glockenkurve. Allerdings bewegen sich die Marktschwankungen hĂ€ufig ausserhalb der Normalverteilung im Bereich der sogenannten Tail Risks (Extremrisiken, die unvorhersehbare Ereignisse mit sich bringen). Dieser Teil des VolatilitĂ€tsrisikos wird bei der ĂŒblichen Berechnung der Sharpe Ratio unterschĂ€tzt.

Der vielleicht wichtigste Einwand gegen die Sharpe Ratio besagt, dass die Formel schlicht zu einfach ist. Auch Sharpe ist der Ansicht, dass sich Anlegerinnen und Anleger angesichts der aktuellen ungeheuren Rechenleistungen von Computern nicht nur auf eine einzige Zahl abstĂŒtzen sollten. Die Sharpe Ratio hat durchaus ihre Berechtigung. Sie sollte aber intelligenter genutzt werden als zu blossen Manager- oder Portfoliovergleichen, etwa unter BerĂŒcksichtigung der fĂŒr die Erwirtschaftung der Renditen erforderlichen ZeitrĂ€ume und der Exaktheit der verwendeten Marktwerte.

Empirische Arbeiten

Zwei MĂ€nner in Abendgarderobe geben sich vor Publikum die Hand, einer leicht vor den anderen gebeugt
Sharpe, der 1990 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, erkannte den Bedarf an massgeschneiderter Anlageberatung als Teil der Altersvorsorge. © Keystone/Pressens Bild/Str

Sharpe ist vielleicht am besten fĂŒr seine theoretischen BeitrĂ€ge bekannt, aber seit den 1970er Jahren ergĂ€nzte er seine akademische Arbeit durch die Beratung von Finanzinstituten, half bei der Entwicklung der ersten passiven Indexfonds bei Wells Fargo und beriet Merrill Lynch Pierce Fenner Smith. Bei Sharpe-Russell Research, einem 1986 in Partnerschaft mit der Frank Russel Company gegrĂŒndeten Unternehmen, und spĂ€ter bei William F. Sharpe Associates entwickelte und realisierte er neue Konzepte zur dynamischen Asset Allocation, Modelle fĂŒr die Performancebeurteilung von Portfoliomanagerinnen und Portfoliomanagern und Absicherungen von Verbindlichkeiten fĂŒr Pensionskassen und Stiftungen.

Als in den 1990er Jahren beitragsorientierte PensionsplĂ€ne zur vorherrschenden Altersvorsorgeform amerikanischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden, erkannte Sharpe, dass Millionen von Einzelanlegerinnen und Einzelanlegern eine massgeschneiderte Anlageberatung benötigten. Denn im Gegensatz zu leistungsorientierten PlĂ€nen, bei denen die Anlageentscheidungen zentral getroffen werden und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Rentenzahlungen auf der Grundlage ihres Gehalts erhalten, verfĂŒgt bei beitragsorientierten PlĂ€nen jede und jeder ErwerbstĂ€tige ĂŒber ihr respektive sein eigenes Anlageportfolio und trifft eigene Anlageentscheidungen. Das von Sharpe 1996 mitgegrĂŒndete Unternehmen Financial Engines bot einen "Robo-Advisor" an, d. h. eine Online-Maschine, die Planteilnehmende dabei unterstĂŒtzt, auf ihre UmstĂ€nde zugeschnittene Anlageentscheidungen zu treffen. Sharpe ist inzwischen aus dem Unternehmen ausgeschieden, Financial Engines besteht jedoch bis heute.

Sharpe ist nach wie vor emeritierter Professor fĂŒr Finanzwissenschaft an der Graduate School of Business der Stanford University.

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