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Nachhaltigkeit

Wenn Fische zurückkehren

Das marine Ökosystem ist massiv gefährdet. Pristine Seas, ein Projekt von National Geographic, kämpft seit 2008 gegen diese traurige Entwicklung an. Mit Erfolg. Denn die Unterwasserwelt kann sich erholen.

Datum
Autor
Flurina Ammann
Lesezeit
5 Minuten
Verschiedene Fische und ein Grauer Riffhaie schwimmen um ein Riff im Meer.
Eine bunte, lebendige Unterwasserwelt im Gleichgewicht - heutzutage leider ein seltenes Bild. © Enric Sala

Mitte der Neunzigerjahre, Cabo Pulmo, Mexiko: Das verschlafene Dörfchen in Baja California Sur macht einen idyllischen Eindruck. Doch unter der Wasseroberfläche zeigt sich eine regelrechte Unterwasserwüste. Grund dafür ist in erster Linie eine unheilvolle Kombination aus Überfischung und globaler Ozeanerwärmung. 

Zeitsprung ins Jahr 2009. Forscherinnen und Forscher starten einen Tauchgang an der Küste vor Cabo Pulmo. Innert Sekunden finden sie sich in einem faszinierenden Kaleidoskop von Farben wieder. Die Korallen gedeihen, überall tummeln sich riesige Fischschwärme, und sogar Haie werden gesichtet. Die Unterwasserwelt hat sich innerhalb von rund zehn Jahren vollständig erholt. Und mit ihr der Tourismus in der Region.

Ein Galápagos-Seelöwe inmitten eines grossen Schwarmes Goldstreifen im Meer
In geschützten Gebieten können sich Fischbestände innert weniger Jahre erholen. © Enric Sala

Wie ist das möglich? Die Antwort darauf ist relativ simpel. Über 70 Quadratkilometer Meeresfläche vor der Küste von Cabo Pulmo wurden 1995 zum geschützten Gebiet ("Marine Protected Area", MPA) erklärt. "Fälle wie dieser haben gezeigt: Die Biomasse an Fisch nimmt nach der Einrichtung von geschützten 'no-take zones', in denen keine Fischerei erlaubt ist, innert weniger Jahre um durchschnittlich 500 Prozent zu", sagt Dr. Enric Sala, National-Geographic-Forscher.

26 Marine Protected Areas geschaffen

Nahaufnahme eines Mannes mit unter dem Kinn gefalteten Händen, der neutral direkt in die Kamera blickt.
Dr. Enric Sala, National Geographic Forscher und Gründer von Pristine Seas © Romy Maxime

Enric Sala hat früh erkannt, dass der Schutz von Meeresgebieten ein wichtiger Faktor im Kampf gegen die Ozeankrise ist. Vor diesem Hintergrund hat er im Jahr 2008 gemeinsam mit National Geographic das Projekt Pristine Seas initiiert. Dieses fokussiert sich darauf, MPAs wie jene in Cabo Pulmo zu schaffen.

Seit dem Projektstart hat das Team schon 42 Expeditionen durchgeführt und erfolgreich dazu beigetragen, dass bereits 27 Gebiete mit insgesamt 6.6 Millionen Quadratkilometern Fläche unter Schutz gestellt wurden. Eine erfreuliche Entwicklung. Doch der Weg ist noch weit. Aktuell sind weltweit rund acht Prozent der Meeresflächen geschützt. Grossteils ist hier die kommerzielle Fischerei noch erlaubt. Nur drei Prozent der MPAs sind "no take zones".

Eine Meeresschildkröte schwimmt über eine Formation im Ozean
Aktuell sind weltweit rund acht Prozent der Meeresflächen geschützt. Die kommerzielle Fischerei ist hier aber grossteils nach wie vor erlaubt. © Shutterstock/Tomas Kotouc

Acht Prozent reichen nicht aus

Doch wie viel Schutz ist effektiv nötig? "Um genau das herauszufinden, wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Studien durchgeführt", erzählt Enric Sala. "Deren Ergebnisse machten deutlich, dass wir mindestens 30 Prozent unserer Weltmeere schützen müssen. Und zwar so bald als möglich. Gelingt uns dies, profitieren wir alle. Denn nur dann können uns die Ozeane dreifachen Nutzen bieten." Erstens ein gesundes Ökosystem. Zweitens Ernährungssicherheit, da die handwerkliche Fischerei in geschützten Gebieten mit nur halb so vielen Booten wie heute global zwölf Prozent mehr Fische fangen könnte. Und drittens tiefere Treibhausgasemissionen. Denn jährlich werden Hunderte Millionen Tonnen CO2 durch industrielle Schleppnetze aus dem Meeresgrund gelöst und freigesetzt. Das sind so viele Emissionen wie die Luftfahrt verursacht.

Das erste Schutzgebiet für Pottwale entsteht

Um dieses äusserst ambitionierte Ziel zu erreichen, arbeitet Pristine Seas mit lokalen Gemeinschaften, indigenen Völkern, Regierungen und weiteren Partnern zusammen. Und das globale Bewusstsein für die Dringlichkeit des Themas wächst. Ein Meilenstein wurde auf der Weltnaturkonferenz COP15 Ende 2022 erreicht. Regierungsvertretende aus 196 Staaten unterzeichneten eine Vereinbarung, bis 2030 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Kleine und grosse Erfolgsgeschichten aus aller Welt sind ein Beweis dafür, dass sich viele Nationen ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen. Erst kürzlich kommunizierte die Karibikinsel Dominica, dass sie das erste Pottwal-Schutzgebiet der Welt errichten will. Ein über 900 Quadratkilometer grosses Gebiet vor der Westküste der Insel soll für den Schiffsverkehr gesperrt werden.

Ein Pottwal schwimmt nahe der Meeresoberfläche
Die Karibikinsel Dominica will das erste Pottwal-Schutzgebiet der Welt errichten. © Francois Gohier/VWPics/Redux/laif

Pristine Seas startete 2023 ein neues ambitiöses Projekt: The Global Expedition. Spezialistinnen und Spezialisten aus Wissenschaft, Politik und Film werden während fünf Jahren an Bord eines Forschungsschiffes unterwegs sein, um den tropischen Pazifik zu erforschen und Regierungen bei ihren Bemühungen zum Schutz der Ozeane zu unterstützen.

Bis 2030 sind es nur noch ein paar Jahre. Genügend Zeit, um etwas zu verändern. Aber nur, wenn wir jetzt etwas tun. Für die Unterwasserwelt - und für uns alle.

LGT Venture Philanthropy unterstützt Pristine Seas als Investor und Partner. Hier erfahren Sie mehr über das Projekt und unser Engagement. 

 

3 Fragen an Dr. Enric Sala, National Geographic Forscher und Gründer von Pristine Seas

Enric Sala, woher kommt Ihr Interesse am Meer?

Ich bin an der spanischen Mittelmeerküste aufgewachsen. Als Kind habe ich die Dokumentarfilme von Jacques Cousteau rauf- und runtergeschaut und so meine Leidenschaft für den Ozean entdeckt. Das Meer bei uns zu Hause war leer, beim Schwimmen konnte ich höchstens ein paar Seeigel oder kleine Fische beobachten. Ich war mir sicher, dass die bunten Lebewesen aus den Cousteau-Filmen nur in exotischen Meeren, weit entfernt von meiner Heimat, existierten. Aber dann, mit 18 Jahren, machte ich meinen ersten Tauchgang auf den Medes-Inseln, die seit ein paar Jahren unter Naturschutz standen. Ich sprang ins Wasser und es war, als würde ich in einen der Filme von Jacques Cousteau eintauchen. Alles war da, was im Meer meiner Kindheit gefehlt hatte: Seebarsch, Goldbrasse, Tintenfisch, Weichkorallen und so vieles mehr. Mir wurde klar, dass es früher einmal überall so war. Das war eine Erleuchtung für mich.

Daraufhin machten Sie Ihre Leidenschaft für die Unterwasserwelt zum Beruf?

Genau. Ich studierte Biologie, machte ein Doktorat in Ökologie und war mehrere Jahre lang als Professor in Kalifornien tätig. In meiner Forschung drehte sich alles um die Auswirkungen der Menschen auf die Ozeane. Als Professor verfasste ich darüber unzählige wissenschaftliche Arbeiten. Und als ich eines Tages an einem Paper über den Rückgang der Biodiversität im Golf von Kalifornien schrieb, wurde mir klar: "Wow, ich schreibe gerade einen Nachruf auf den Ozean." Ich kam mir vor wie ein Arzt, der seinem Patienten ganz genau erklärt, wie er sterben wird, aber keine Behandlung anbietet. An diesem Tag beschloss ich, meine akademische Karriere an den Haken zu hängen und zu helfen, die Meere zu heilen.

Warum sollten wir alle dieses Thema ernst nehmen?

Die Ozeane bedecken rund 70 Prozent der Erde. Meereslebewesen, mikroskopisch kleine Algen und Bakterien, produzieren mehr als die Hälfte des Sauerstoffs auf unserem Planeten. Das Meer reguliert das Klima und ist ein elementarer Teil des Wasserkreislaufs auf unserer Erde. Es produziert Nahrung und ist für mehr als anderthalb Milliarden Menschen die Hauptquelle für tierisches Eiweiss. Ausserdem nehmen die Ozeane jedes Jahr ein Viertel unserer Kohlenstoffemissionen auf. Darum müssen wir dieses Thema wirklich sehr ernst nehmen.

 

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