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Unternehmertum

Auf der Suche nach der grossen VR-Vision

Hardware und Anwendungen, die Verbraucher und Unternehmen in eine neue gemischte oder komplett virtuelle Realität locken, sind Jahre vom Mainstream entfernt. Zumindest hat Apple der gesamten Sparte nun einen dringend benötigten Auftrieb gegeben.

Datum
Autor
Steffan Heuer, Gastautor
Apple's Vision Pro virtual reality headset
© GettyImages/Yagi Studio

Als Apple-CEO Tim Cook das lang erwartete Headset names Vision Pro vorstellte, benutzte er ziemlich viele Begriffe, um "eine völlig neue Plattform für Spatial Computing" (oder raumbezogene Datenverarbeitung) herbeizuzaubern. Was er nicht ein einziges Mal erwähnte, waren die Wörter Metaversum oder Virtuelle Realität (VR), die gängigen Stichworte für simulierte Welten, in die man eintauchen kann und in die Firmen von Google über Sony bis hin zu Meta bereits Milliarden US-Dollar gesteckt haben.

Das Virtual-Reality-Headset Vision Pro von Apple
© KEYSTONE/AFP/Josh Edelson

Etablierte Unternehmen und Start-ups sind alle auf der Jagd nach dem nächsten grossen Ding, das die fast unendlich erweiterbare Welt des "mobile Computings" ergänzen oder sogar einen Grossteil der vorhandenen Konzepte und Geräte ersetzen soll. Der Weg dahin, die Realität mit digitalen Welten, Avataren und Apps aufzuhübschen, ist jedoch steinig und mit kostspieligen Misserfolgen gepflastert. Jetzt, da Apple mit seiner Design-Expertise und seiner riesigen Basis an Nutzerinnen und Nutzern das Schlachtfeld betritt, besteht immerhin eine gewisse Hoffnung, dass alle Beteiligten grössere Chancen haben, ans Ziel zu gelangen.

Dabei ist es für Firmen und Userinnen und User gar nicht so einfach, sich in den Weihrauchschwaden der digitalen Verheissungen zurechtzufinden. Da gibt es Augmented Reality (AR), bei der digitale Objekte über die reale Welt gelegt werden, wie ein funktionsstarkes Head-up-Display für den Alltag. AR ist eine Variante der Mixed Reality (MR), die eine Balance zwischen echter und synthetischen Welten zu finden versucht. Dazu gesellt sich VR, wie sie von Meta seit Jahren propagiert wird, bei der sich die Anwenderinnen und Anwender mehr oder weniger aus ihrer realen Umgebung zurückziehen und sich mit "digitalen Zwillingen" oder Avataren durch künstliche Welten bewegen (und gelegentlich gegen Möbel und Wände stossen, weil sie diese nicht mehr sehen können).

Hologramm Metaverse - 3D-Illustration
© Shutterstock/Jacob Lund

Dank ihrer Science-Fiction-Anmutung eines Metaversums jenseits unserer physischen Welt hat VR dabei die meisten Investitionen auf sich gezogen und viel Aufregung erzeugt. Beraterinnen und Berater prognostizieren, dass der potenzielle Markt für VR und MR irgendwann mehrere hundert Milliarden US-Dollar wert sein könnte. Facebook änderte sogar seinen Namen in Meta - hat aber in den letzten vier Jahren satte 35 Milliarden US-Dollar mit seiner Abteilung Reality Labs verloren, plus weitere vier Milliarden allein im ersten Quartal dieses Jahres.

Meta hat Millionen seiner Brillen verkauft und ist damit mit Abstand Marktführer, noch vor Marken wie Sony, ByteDance (der Muttergesellschaft von TikTok) und HTC. Der Marktbeobachter IDC erwartet, dass im Jahr 2023 weltweit mehr als zehn Millionen Headsets verkauft werden,  aber nur relativ wenige Menschen nutzen sie regelmässig oder loggen sich in Metas Horizon Worlds ein. Das hat das Unternehmen dazu veranlasst, die Altersgrenze für seine VR-Welt in Nordamerika von 18 auf 13 Jahre zu senken und für die Brille selbst sogar auf zehn Jahre.

Das grundlegende Problem ist das alte Henne-Ei-Dilemma. Es ist nämlich schwierig und teuer, Hardware zu entwickeln, die wirklich funktioniert und bei der Benutzerinnen und Benutzer nicht die Orientierung verlieren, ihnen schwindelig oder übel wird. Solange VR-Headsets nicht zu einem attraktiven Preis einen ausreichend grossen Kundenkreis anziehen, zögern Entwicklerinnen und Entwickler, Anwendungen zu programmieren, die ihrerseits wieder mehr Nutzerinnen und Nutzer anlocken und irgendwann eine kritische Masse schaffen.

Teilnehmer an der jährlichen Developers Conference testen die Apple-Datenbrille
© KEYSTONE/REUTERS/ Loren Elliott

Auch Apples Ankündigung, ein Headset für 3499 US Dollar auf den Markt zu bringen, wird das Problem in absehbarer Zeit nicht lösen. "Es gibt einen Grund dafür, dass sie es auf einer Entwicklerkonferenz vorgestellt haben, zu einem Preis auf Entwicklerniveau", erklärt der altgediente Silicon-Valley-Beobachter Paul Saffo. "Wir sind drei Produktgenerationen von einer Version für Normaluser entfernt, mit dreifacher Akkulaufzeit, zu einem Drittel des Preises und mit vielen spezifischen Anwendungen. Die Leute werden sich an den Gedanken gewöhnen, dass das Tragen dieser Brillen nützlich und nicht geekig ist."

Sobald Programmiererinnen und Programmierer als Erste mit dem MR-Headset experimentieren können, werden sie Apps entwickeln, die Durchschnittsnutzende und Unternehmen dazu verleiten, die Brille aufzusetzen. Aber wie die Entwicklung der App-Stores für Smartphones beweist, dauert das Jahre.

Person mit Datenbrille Vision Pro
© Apple

Während seit 2016 VR-Apps und Spiele im Wert von schätzungsweise drei Milliarden US-Dollar verkauft wurden, hat allein Apples App-Store 2022 rund 104 Milliarden US-Dollar an digitalen Waren und Dienstleistungen umgesetzt.  "Die Kategorie ist noch viele Jahre von einer echten Mainstream-Akzeptanz entfernt. Es wird einige Zeit dauern, bis sich ein Ökosystem entwickelt, wenn überhaupt", warnt Ben Bajarin, CEO und Principal Analyst beim kalifornischen Marktbeobachter Creative Strategies.

Wie Saffo hält auch er die Unterscheidung zwischen VR und den MR-Varianten auch unter dem Stichwort "Spatial Computing" für sinnvoll und weist darauf hin, dass auch das nächste Headset von Meta namens Quest 3, das im Herbst auf den Markt kommen soll, seine Mixed-Reality-Fähigkeiten herausstreicht. So sollen sich Anwenderinnen und Anwender weniger von ihrer echten Umgebung abgeschnitten fühlen.

Im Gegensatz zu VR verspricht Spatial Computing eine "unendliche Leinwand als Chance für die Softwareentwicklung", so Bajarin. Anstatt mit Controllern in den Händen auf anderen Planeten herumzustapfen, ermöglicht es den Benutzenden, Programm-Icons, Anwendungen und App-Fenster, mit denen sie bereits vertraut sind, per Drag-and-Drop beliebig in ihrem Zuhause oder Büro zu platzieren und sie mit ihren Fingern und Augen zu steuern.

Dieser massvolle Ansatz für eine gemischte Realität vermeidet einige der Probleme, die VR seit ihren Anfängen plagen. Wenn es jemanden gibt, der diese aus erster Hand kennt, dann ist es der "Serial Entrepreneur" Philip Rosedale.

Junge Frau neben ihrem Metavers-Avatar
© Shutterstock/Jacob Lund

Im Jahr 2003 lancierte er eine der ersten VR-Plattformen namens Second Life, die immer noch existiert und mehr Nutzerinnen und Nutzer hat als Metas virtueller Spielplatz. Zwei Jahrzehnte später räumt er ein, dass die wichtigsten technischen Probleme noch immer nicht gelöst sind: das Fehlen lebensechter Avatare und speziell der nonverbalen Kommunikation, auf die Menschen angewiesen sind. Diese Einschränkungen machen VR zu einer etwas unheimlichen Erfahrung, welche die meisten Menschen, ausser Gamerinnen und Gamern sowie Teenagern, nicht akzeptieren.

"Es fühlt sich nicht sicher an, ein VR-Gerät zu tragen, weil es einen für die reale Welt blind macht. Frauen fühlen sich sogar noch unbehaglicher als Männer", erklärt Rosedale. "Etwa in einem Meeting in VR. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie eine Präsentation halten und Ihr Chef plötzlich hereinkommt, ohne etwas zu sagen. Sie wären erschrocken, weil Sie dessen Körpersprache und Mimik nicht sehen konnten." Seiner Meinung nach ist VR in der heutigen Form zu schwerfällig und normalen Videokonferenzen unterlegen.

Philip Rosedal, Schöpfer von Second Life
© Melissa Golden/Redux/laif

KI-Programme, die im Handumdrehen realistische Bilder erzeugen, könnten hier Abhilfe schaffen, aber sie klären eine grundlegende wirtschaftliche Frage nicht: Was bringt ein erschwingliches oder technisch brillantes Headset, wenn es niemand tragen will? An dieser Stelle macht VR-Pionier Rosedale ein entscheidendes Problem bei Metas VR-Wette aus. "Facebook hat einen Claim abgesteckt, dessen Erfolg voraussetzt, dass die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher an virtuellen Welten interessiert sind. Um zu überleben, bräuchte das Unternehmen in den nächsten fünf Jahren mehr als eine Milliarde Menschen, die VR-Welten nutzen, und ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass das passiert."

Apple versucht, dieses Dilemma zu umgehen, glaubt Technikexperte Bajarin. Die Vision-Pro-Brille ist der Ausgangspunkt einer Suche danach, wie MR in unser tägliches Leben passt, sagt er. Vielleicht als Ersatz für einen Grossbildfernseher, eine Spielkonsole oder einen Laptop. Was wäre, wenn dieses Gerät all diese Funktionen erfüllen könnte? "Wenn es unseren Fernseher, unsere Spielkonsole und ausserdem unseren Laptop/Desktop ersetzen kann, liegt der durchschnittliche kombinierte Verkaufspreis dieser Kategorien bei 1400 Dollar. Und das gesamte jährliche Potenzial beläuft sich auf etwa 600 Millionen verkaufte Exemplare."

So gesehen: Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass sich synthetische Welten zu einer Sparte entwickeln, in der Renderings und Rendite doch noch miteinander verschmelzen.

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